Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
zu können, unterschätzte er doch nicht die wilde Entschlossenheit der Ru.
Die Stadt musste unter möglichst geringen Verlusten und Zerstörungen gehalten werden, bis die beiden Armeen eintrafen.
Waren bei Einbruch der Nacht noch immer keine Anzeichen der nahenden Rebellen zu sehen, dann, so fürchtete Wan Atenn, hatte Ashwarawu den Kopf noch einmal aus der Schlinge gezogen. Womöglich hatten die Ru eines der Zwanzigerkarrees anrücken sehen, als die Soldaten, kaum eine Stunde Fußmarsch von der Stadt entfernt, in Stellung gegangen waren. Wenn dem so war, beschloss der Chezhou-Lei, würde er auf der Stelle das Kommando über die Truppen übernehmen und den Schurken, falls nötig, bis in den hintersten Winkel To-gais verfolgen.
Er stand gerade am Wachhaus des Haupttors und gab einer Hand voll Posten letzte Anweisungen, als das erste ungewöhnliche Geräusch an seine Ohren drang, ein Geräusch, das den ausgezeichnet geschulten Krieger sofort aufhorchen ließ.
»Haltet die Stellungen«, befahl der Chezhou-Lei seinen Leuten, bevor er sich, lautlos wie der Tod, an der Stadtmauer entlang entfernte.
Pagonel hatte wenig Mühe, sich unbemerkt an das Fundament der Stadtmauer Dharyans heranzuschleichen. Dort angekommen, konzentrierte sich der Mystiker auf das Zentrum seiner Lebensenergie, zwang es, allein kraft seines Willens aufzusteigen, und ließ seinen Körper dadurch ganz leicht werden.
Er strich mit der Hand an der Mauer entlang und ertastete die Ritzen zwischen den großen Steinquadern. Bei ihrem Bau hatte man für das Verfugen der Steine einen sandhaltigen Mörtel verwendet, aber der unablässig aus den Bergen und der Steppe wehende Wind hatte den größten Teil der Fugenmasse längst wieder herausgewaschen.
Pagonel befand sich unterhalb der höchsten Stelle der Mauer, aber da sie gerade mal ein Dutzend Fuß hoch war, erklomm er sie so mühelos, als würde er über eine waagrechte Fläche krabbeln. Oben angekommen hielt er inne und lauschte, bis er die Schritte eines Soldaten näher kommen hörte – wie ihm das Scharren einer Waffe an der Mauer verriet.
Noch immer über dem Mauerrand hängend, zog der Ordensbruder so weit es ging die Beine an, suchte sich einen festen Halt, dann lauschte er erneut, um die Entfernung zu dem Soldaten abzuschätzen.
Der Behreneser drehte sich nach links, den Blick über die Mauer nach draußen gerichtet, als der Schatten über ihm vorbeihuschte. Sichtlich verwirrt, hatte der Soldat offenbar gar nicht gemerkt, dass Pagonel sich mit einem Sprung genau über ihn gebracht hatte. Er starrte noch immer hinaus in die Dunkelheit, als Pagonel sich auf ihn fallen ließ.
Noch im Fallen trat ihm Pagonel mit gestrecktem Bein in den Rücken und raubte ihm damit schlagartig Atem und Stimme. Als der Ordensbruder schließlich leichtfüßig hinter dem benommenen Soldaten landete, hatte er ihn bereits fest im Würgegriff.
Der Mann erlangte sein Gleichgewicht nicht mehr zurück und konnte keinen nennenswerten Widerstand mehr leisten, ehe er das Bewusstsein verlor.
Lautlos ließ Pagonel ihn behutsam auf die Steine gleiten, zog ihm die Waffe aus der Scheide und schleuderte sie über die Mauer.
Anschließend entfernte er sich mit schnellen, absolut geräuschlosen Schritten und huschte hinüber zum mitten in der Westmauer der Stadt gelegenen Wachhaus.
Kurz darauf stieß er auf einen zweiten Soldaten; nach einem kurzen Handgemenge schleuderte er die Waffe des bewusstlosen Mannes ebenfalls über die Mauer.
Er lief weiter, die dunklen Umrisse des Wachhauses stets im Blick. Dort drinnen, das wusste er, würde ihn weit massiverer Widerstand erwarten, vermutlich in Gestalt von mindestens eines Zuges Soldaten; er wusste aber auch, dass die behrenesischen Krieger zu diesem Zeitpunkt bereits ganz andere Sorgen haben würden, denn draußen in der Dunkelheit westlich der Stadt vernahm er bereits das allmählich immer lauter werdende Hufgetrappel von Ashwarawus Sturmangriff.
Zehn Pferde hielten weit auseinander gezogen auf die Mauer Dharyans zu, ihre erfahrenen Reiter alle in exakt der gleichen Körperhaltung, die verlässlichen Pferde allein mit ihren Beinen lenkend, zwei ölgetränkte Fackeln auf dem Schoß, Feuerstein und Stahl griffbereit. Kurz vor der Mauer blieben sie schlagartig stehen, zündeten ihre Fackeln an und reckten sie seitlich in die Höhe, ohne die hektischen Rufe der Posten zu beachten, die den Angriff eben erst bemerkt hatten.
Dann erfolgte der eigentliche Sturmangriff;
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