Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
war Brynn bekannt, und plötzlich wurde ihr bewusst, wie ungeheuer weit die vor ihnen liegende Reise war.
»Jacintha«, wiederholte Juraviel. »Der Sitz der Macht in Behren und die Heimatstadt des über die Yatols herrschenden Chezru-Häuptlings.«
Wie zu erwarten, verfinsterte sich Brynns Gesicht zu einer Miene heftigen Zorns.
»Du bist in vielen Dingen ziemlich weltgewandt«, sagte Juraviel zu ihr, »in anderen Dingen dagegen eher naiv. Vielleicht ist das ja unsere Schuld, aber schließlich leben wir nicht freiwillig so zurückgezogen. Statt dich also über die Verzögerungen bei deiner Rückkehr aufzuregen, solltest du diese Reise sowie die andere in den fernen Osten, die uns womöglich auch noch bevorsteht, als Fortsetzung deiner Ausbildung betrachten und als Vorbereitung auf die Prüfungen, die dir schon bald bevorstehen werden.«
Brynn bedachte Juraviel mit einem langen, durchdringenden Blick, obwohl sie die Worte klar und deutlich verstanden hatte und die Erklärung bis zu einem gewissen Grad auch akzeptieren konnte. Sie ermahnte sich, dass die Touel’alfar sie schließlich vor einem Leben in sicherer Sklaverei bewahrt hatten, ein Dasein, das ihr ganz bestimmt nicht die Möglichkeiten eröffnet hätte, die ihr jetzt offen standen, und dass die Touel’alfar sie in den Kampfkünsten unterrichtet hatten, die sie beherrschen musste, wenn sie den Versuch wagen wollte, ihr Volk anzuführen. Angesichts dieser Vorgeschichte, ihrer Ausbildung und der Freundschaft, die man ihr entgegengebracht hatte, kamen ihr die Zweifel an Belli’mar Juraviel plötzlich ziemlich albern vor.
Selbstkritisch lachend schlug sie die Augen nieder und sagte schließlich: »Vielleicht war ich zu oft mit Aydrian zusammen.«
Nach diesen Worten sah sie wieder auf und merkte, dass ihre Bemerkung ein Lächeln auf das Gesicht des Elfen gelockt hatte.
»Aydrian wird seinen Weg machen, da bin ich ganz sicher«, erwiderte Juraviel. »Aber bei seinem Temperament wäre er für die Aufgabe, die dir jetzt bevorsteht, auf keinen Fall der Richtige gewesen. Du bist zwar eine Kriegerin, in erster Linie aber eine Diplomatin, die eher mit Worten als mit dem Schwert zu überzeugen weiß, ein Vorbild wegen deines Mutes und …«, der Elf zögerte und hob einen Finger, um die Bedeutung seines Arguments zu unterstreichen, »… und deiner Klugheit. Ohne diese zweite Eigenschaft würdest du dein Volk geradewegs in den Untergang führen. Mit Gewalt allein wird man To-gai nicht von der behrenesischen Herrschaft befreien können, meine junge Freundin. Dazu bedarf es außergewöhnlichen Mutes und ebensolchen Geschicks, sowie einer Anführerin von so edler Gesinnung, dass die Menschen bereitwillig und voller Dankbarkeit ihr Leben für sie geben würden. Ist dir die ganze Tragweite dieser Position überhaupt bewusst?«
Plötzlich hatte Brynn Mühe zu atmen.
»Ist dir wirklich klar, dass du eines Tages Kriegern befehlen wirst, in die Schlacht zu ziehen, in dem Bewusstsein, dass viele von ihnen auf dem Schlachtfeld umkommen werden?«
Das Atmen wurde nicht einfacher.
»Bist du dir darüber im Klaren, dass du gezwungen sein könntest, deine Armee aus einem schutzlosen Dorf abzuziehen, obwohl du ganz genau weißt, dass die Behreneser ihre Wut über deine Rebellion vermutlich an eben diesem wehrlosen Dorf auslassen werden? Dein Handeln könnte dazu führen, dass noch sehr viel mehr Kinder ihre Eltern sterben sehen – oder, noch grauenhafter, dass Eltern ihre Kinder sterben sehen. Bist du bereit, diese Verantwortung auf deine Schultern zu laden, Brynn Dharielle?«
Sie stand da wie versteinert und zitterte am ganzen Körper.
»Lohnt dieser mögliche Preis wirklich den Gewinn?«
Die letzte Frage brachte sie auf den Boden der Tatsachen zurück, drängte alle denkbaren Schreckensbilder in den Hintergrund und führte ihr deutlich vor Augen, dass der Sieg möglich war. Im Grunde hatte das Wort Sieg für die To-gai nur eine einzige Bedeutung, und diese eine Bedeutung wog für Brynn schwerer als alles Leid und alle Opfer.
»Freiheit«, stieß sie leise zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Belli’mar Juraviel musterte sie ein paar Augenblicke lang durchdringend, dann nickte er anerkennend.
Sie lernte wirklich schnell.
Lozan Duk beobachtete das merkwürdige Paar, das an jenem warmen Sommerabend an einem Lagerfeuer in den hügeligen Ausläufern des Großen Gürtels saß, jenes Gebirgszugs, der für Lozan Duks Volk das absolute Ende der Welt bedeutete. Die
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