Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
gelungenen Werk.
Die Ausnahme bildete, wie üblich, der Aufsicht führende Yatol. Der ältere Mann warf zuerst einen Blick auf sein Handgelenk und zurrte seinen Verband fest, dann aber sah er, wie stets nach einem Opfer, hinüber zu Merwan Ma.
Es war ein Blick, in dem der Diener nur wenig Zuneigung zu erkennen vermochte. Er war bei vielen Yatols nicht sonderlich beliebt; vor allem nicht bei denen, die ihre persönlichen Eifersüchteleien wichtiger nahmen als ihre Hingabe an die Religion und ihren Gott. Schließlich war er kein Yatol, kein Priester, und doch würde Merwan Ma, wenn der Chezru-Häuptling dereinst das Zeitliche segnete, in allen praktischen Belangen zum mächtigsten Mann im ganzen Reich der Chezru werden. Ihm würde es obliegen, die neue Stimme Gottes auszuwählen, und er besäße volles Stimmrecht in der sich daran anschließenden bestätigenden Versammlung. Im Anschluss daran würde er das erwählte Kind während seiner ersten Lebensjahre beaufsichtigen, und obwohl er bei der offiziellen Politik der Yatols kein Stimmrecht besäße, würde es seine Stimme sein, die die nächste auserwählte Stimme Gottes am häufigsten zu hören bekäme.
Einige Yatols waren alles andere als glücklich mit dieser Regelung. Zwei besonders unangenehme Priester hatte Merwan Ma sogar hinter vorgehaltener Hand darüber tuscheln hören, in früheren Zeiten habe ein Yatol, und zwar der ranghöchste des Ordens unmittelbar nach dem Chezru-Häuptling, als Leibdiener gedient, und nicht ein einfacher Geistlicher.
Merwan Ma nahm dies alles völlig gelassen. Er war, aus welchem Grund auch immer, erwählt worden, und seine Pflichten waren eindeutig und unkompliziert. Durch kleinliche menschliche Schwächen und Gefühle durfte er sich nicht von seiner Pflicht abhalten lassen. Er fühlte sich berufen durch die Worte und Erlasse der Stimme Gottes, seines geliebten Chezru-Häuptlings, und weder stand es ihm zu, dies in Frage zu stellen, noch durfte er – ermahnte er sich in diesem Moment – die Blicke, die ihm der Aufsicht führende Yatol jetzt zuwarf, einfach akzeptieren oder sich zu sehr zu Herzen nehmen. Aus dem Blick des Mannes sprach eine Schwäche, die Merwan Ma nicht mit ihm zu teilen bereit war.
Er geleitete die Gruppe aus dem Vorzimmer, dann kehrte er, ein geweihtes Tuch in der Hand, in den heiligen Raum zurück und reinigte ehrfürchtig den Rand des Chezru-Pokals, zufrieden, dass sowohl der Kelch als auch das Wohl der Kirche durch das Blutopfer am heutigen Tag für einen weiteren Monat gesichert waren.
3. Das Ziel vor Augen
Nach ihrem Kampf mit der Goblin-Horde ritten Brynn und Juraviel einige Tage lang mehr oder weniger schweigend nebeneinander her; weder Juraviels bissige Bemerkungen noch seine vernünftigen Erklärungsversuche vermochten Brynn von ihrem Zorn darüber abzubringen, was er ihr angetan, ihr abverlangt hatte. Denn er hatte sie gezwungen zu töten, war mit ihr einen Umweg geritten, damit sie das Gefühl kennen lernte, wie sich ihre Klinge in das Herz des Feindes bohrt, und begriff, was es hieß, eigenhändig zu töten, und zwar auf eine bislang ungekannte, Grauen erregende Weise. Während ihrer Jugend in To-gai, kurz nach dem Überfall der Behreneser, hatte Brynn Dharielle den Tod oft miterlebt; mit eigenen Augen hatte sie zusehen müssen, wie ihre Eltern ermordet wurden – von weitem zwar, aber immer noch nahe genug, um ihre Schreie zu hören, ein Erlebnis, das entsetzlicher nicht hätte sein können.
Ihre jüngste Erfahrung war dagegen auf ganz andere Weise erschreckend und Besorgnis erregend.
Diesmal war sie in die Rolle der Mörderin gezwungen worden; Blutgeruch und Schreie waren Folgen ihres eigenen Tuns, mit dem ein beträchtliches Maß an Schuld verbunden war.
Angetan hatte ihr das Belli’mar Juraviel, dessen Rechtfertigungen in Brynns Ohren einen hohlen Beiklang hatten, als sie sich einen Weg über die Pfade im Süden des Landes bahnten. Seit über einer Woche gingen sie jetzt ihren täglichen Verrichtungen nach, praktisch ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Beide wussten, was sie zu tun hatten, wenn es darum ging, das Lager aufzuschlagen, Mahlzeiten zuzubereiten und des Nachts Wache zu halten. Juraviel ließ sich ab und an zu einer freundlichen Bemerkung hinreißen, die Brynn aber gewöhnlich mit einem mürrischen Brummen oder einem nicht ganz ernst gemeinten Lachen an sich abperlen ließ.
Erst in der zweiten Woche begann die Atmosphäre zwischen ihnen wieder etwas freundlicher zu werden.
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