Schattenelf - 4 - Feuerzauber
allem, was ich gesehen habe.«
Jetzt war es an Brynn, ihn scharf anzusehen.
»Du hältst mich für ein Geschöpf, das aus reinem Mutwillen zerstört, und bis zu einem gewissen Grad hast du damit sogar Recht«, fuhr der Drache fort. »Die Lebewesen, die in die Zielrichtung meiner Flammen geraten, interessieren mich nicht, es ist das Feuerspeien selbst, das ich so aufregend finde. Vor allem die Menschen sind mir vollkommen egal.«
Seine Äußerung vermochte sie nicht recht zu überzeugen. Brynn spürte, dass im Ton des Drachen noch etwas anderes mitschwang, eine kaum merkliche Anspielung.
»Behreneser, To-gai-ru … im Grunde seid ihr doch alle gleich. Kein Drache käme auf die Idee, einen anderen Drachen zu versklaven.«
»Wenn dich also ein behrenesischer Spitzel aufgespürt hätte, wäre es gut möglich, dass du jetzt mich aus der Luft angreifen würdest«, erwiderte Brynn, und wieder zuckte der Drache bloß mit den Schultern, als sei dies im Grunde ohne Bedeutung.
»Du solltest für dein großes Glück dankbar sein«, sagte er. »Oder nenn es von mir aus die Gerechtigkeit des Schicksals, wenn dir dabei wohler ist. Offenbar sind die Götter deinem Freiheitskampf wohlgesonnen.«
Brynn wandte sich von ihm ab. »Es besteht sehr wohl ein Unterschied«, erklärte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Was sie uns angetan haben und was wir jetzt zu erreichen versuchen, ist bei weitem nicht das Gleiche.«
»Natürlich.«
»Die To-gai-ru haben nie versucht, Behren zu erobern«, hielt Brynn seinem Sarkasmus entgegen.
»Weil sie zu keinem Zeitpunkt dazu in der Lage waren«, stellte Pherol sofort klar. »Nur wenn man über die nötige Macht verfügt, kann man das ethische Verhalten seines Volkes richtig beurteilen.«
Brynn wollte widersprechen, suchte nach Worten, um die Logik des Drachen zu widerlegen, aber es wollte ihr nicht recht gelingen. Hätte ihr Volk sich in der Rolle des Eroberers tatsächlich anders verhalten? Waren sie nach ihrem ersten großen Sieg, als Dharyan überrannt worden war, anders aufgetreten? Bis zu ihrem Eingreifen hatten die Behreneser oftmals die gleichen Ungerechtigkeiten ertragen müssen, die sie zuvor den To-gai-ru angetan hatten.
Aber sie hatte eingegriffen. Das durfte Brynn in diesem Augenblick der Unsicherheit nicht vergessen, da ausgerechnet Pherol ihre Schuldgefühle ans Licht brachte, während Bardoh und dreißigtausend behrenesische Krieger im Anmarsch waren, um sie und ihre vergleichsweise unbedeutende Armee zu vernichten.
»Für jemanden ohne jede Menschenkenntnis bist du ein ziemlich guter Beobachter«, sagte Brynn.
Pherol ließ ein polterndes Lachen hören. »Das liegt daran, dass ich die Dinge objektiv betrachte.«
Brynn drehte sich wieder zu ihm um und fixierte ihn mit ernstem Blick. »Wirst du noch einmal für mich fliegen, trotz der Bogenschützen?«
Der Drache setzte ein scheußliches Grinsen auf. »Aber mit Vergnügen.«
Der Sturm fegte über den vom Wind aufgepeitschten Sand heran, dreißigtausend Mann stark, angeführt von Reitern mit mächtigen Krummsäbeln, wie die meisten behrenesischen Krieger sie bevorzugten. Der Angriff erfolgte am Westtor von Avaru Eesa, und für einen kurzen Augenblick schien Brynn aller Mut zu verlassen, denn sie befürchtete, Yatol Bardoh könnte alle Vorsicht vergessen und seine eroberte Stadt einfach überrennen.
Doch dann schwenkten die Reiter rechts und links zur Seite ab, und ihre Pferde galoppierten donnernd um Avaru Eesa herum, um die weitläufige Stadt einzukreisen. Auf diese Weise gelangten die behrenesischen Soldaten nach und nach mit der für eine hervorragend ausgebildete Armee charakteristischen Disziplin auf die ihnen zugewiesenen Positionen. Am späten Nachmittag waren Brynn und ihre Armee vollends umzingelt; die feindlichen Formationen hatten sich zusammengezogen wie die Schlaufe eines Henkerstricks, und auch die verheerenden Kriegsmaschinen waren in Stellung gebracht worden.
Kurz nach Anbruch der Dämmerung begann das Bombardement. Pechgeschosse flogen in weitem Bogen heran, um die Mauern zu zertrümmern, und versprühten ihr flüssiges Feuer über die ganze Stadt.
Brynns Krieger überließen die daraus entstehenden Feuersbrünste sich selbst, denn sie hatten nicht die Absicht, Yatol Bardohs Stadt über jene Straßenzüge und Gebäude hinaus zu retten, die sie für ihre Verteidigung benötigten.
Wenig später erfolgte der erste Ansturm; Infanterie, die Schilde dicht nebeneinander, rückte von allen Seiten gegen
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