Schattenelf - 5 - Die Unterwerfung
seiner Überraschung. »Wenn dieser Mann, der behauptet, König zu sein, herkommt, um zu verhandeln, dann solltet Ihr ihm dies zugestehen, in den anschließenden Gesprächen aber unmissverständlich klarstellen, dass Marcalo De’Unnero, verflucht sei sein Name, hier nicht willkommen ist. Vielleicht gelingt es uns, einen Keil zwischen sie zu treiben. Vielleicht können wir Aydrian sogar zu einem offeneren Gespräch mit seiner Mutter überreden.«
»Ihr verlangt, dass ich ein ziemlich großes Risiko eingehe«, erwiderte Braumin. »Was, wenn König Aydrian sich weigert zu verhandeln? Wenn er einfach die Öffnung der Tore verlangt? Sollen wir etwa riskieren, einen Krieg mit Ursal vom Zaun zu brechen?«
Bruder Viscenti lehnte sich zurück und wog die verschiedenen Möglichkeiten lange gegeneinander ab. »Ich würde vermuten, dass die Bevölkerung von Palmaris, vor die Wahl gestellt, sich bis zum letzten Mann, zur letzten Frau, gegen Aydrian zur Wehr setzen wird«, sagte er schließlich. »Diese Menschen waren Zeugen des Wunders von Avelyn. Es sind eben jene Behreneser, denen man in Palmaris eine Heimat geboten hat, als niemand sonst sie haben wollte – vergesst nicht, dass De’Unnero und seine Bruderschaft der Büßer sie in den Zeiten der Rotfleckenpest auf brutale Weise verfolgt haben! Es sind dieselben Menschen, die Zeugen der Torheit Markwarts und De’Unneros waren und die den Edelmut Elbryans, Jilseponies und Eurer Wenigkeit miterleben durften. Wenn Ihr bereit seid, für Eure Prinzipien in den Tod zu gehen, muss man ihnen dann nicht die gleiche Chance zugestehen?«
Die merkwürdige Ironie dieser Bemerkung, dass es geradezu seine Pflicht sei, der ihm anvertrauten Gemeinde Gelegenheit zu geben, sich niedermetzeln zu lassen, entlockte Bischof Braumin ein gequältes Lächeln.
Entschlossen ging er quer durch den Raum, schloss seinen lieben Freund in die Arme und gab ihm einen herzhaften Klaps auf den Rücken. Er war Bruder Viscenti in diesem Augenblick aufrichtig dankbar, denn er hatte ihm geholfen, das Durcheinander zu entwirren, das sich seiner Gedanken bemächtigt hatte.
»Jilseponie ist auf dem Weg zu Roger«, bemerkte Viscenti. »Ihr solltet sehen, wie leidenschaftlich Roger Flinkfinger reagiert, wenn er von den Geschehnissen in Ursal erfährt. Wenn Ihr es nicht tut, wird er Palmaris hinter sich vereinigen!«
Braumin schob Viscenti auf Armeslänge von sich. »Oder aber wir beide, wir drei, scharen die gesamte Region hinter uns, wie man es noch nie zuvor gesehen hat!«, sagte er mit einem entschlossenen Lächeln.
Hinter diesem entschlossenen Lächeln und dem gemeinsamen Schulterklopfen verbarg sich jedoch die bittere Erkenntnis, dass sich die Stadt Palmaris in den bevorstehenden finsteren Zeiten womöglich der größten Bedrohung aller Zeiten gegenübersah. Denn zuvor, als die Horden des geflügelten Dämons anzugreifen drohten und der faulige Gestank von Vater Markwart die Luft verpestete, hatte Palmaris in der mächtigeren Stadt Ursal stets einen Verbündeten gehabt.
Diesmal aber …
2. Warnungen im Wind
Nach dem wochenlangen Marsch über den Pfad der sternenlosen Nacht war das Gefühl der kühlen Brise auf ihren Gesichtern den beiden Elfen eine höchst willkommene Erfrischung. Diese Wanderung hatte sehr viel mehr Zeit in Anspruch genommen als ihre erste Reise nach Süden unter dem Gebirge hindurch, denn Belli’mar Juraviel und Cazzira aus Tymwyvenne hatten sich fest vorgenommen, die durch den Großen Gürtel hindurchführenden Pfade von Tymwyvenne nach To-gai, dem Land, das sich, so ihre Hoffnung, mittlerweile fest in Brynn Dharielles Hand befand, genau zu markieren. Juraviel hatte sich zwar in den Südlanden von der Hüterin getrennt, allerdings nur schweren Herzens und mit dem festen Vorsatz, ihre Fortschritte bei der Befreiung To-gais aus der Gewalt der behrenesischen Eroberer genauestens im Blick zu behalten.
Trotz dieser bohrenden Ungewissheit und seiner tief empfundenen Gefühle für Brynn hatte Belli’mar Juraviel seinen Entschluss, in den Norden zurückzukehren, noch immer nicht bereut. Seine Verantwortung galt in erster Linie seinem eigenen Volk, den Touel’alfar, und seiner Heimat Andur’Blough Inninness. Lady Dasslerond hatte Brynn mit dem Auftrag der Befreiung To-gais in den Süden entsandt, denn sie ging davon aus, dass die To-gai-ru ihrem Volk mehr Sympathie entgegenbringen würden als die Behreneser, und weil sie befürchtete, dass der Makel des geflügelten Dämons, jene Fäulnis,
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