Schattenelf - 5 - Die Unterwerfung
Olin und Marcalo De’Unnero, eben jener Mönch, der noch unter Markwart diente, jener Mönch, der sich mit einer Tigertatze vereinigte und von Jilseponie aus Palmaris vertrieben wurde, derselbe, der auch die abtrünnige Bruderschaft der Büßer zur Zeit der Pest anführte? Es war tatsächlich De’Unnero?«
»Nach Aussage Jilseponies, die diesen Mann besser kennt als jeder andere, war es eben dieser Marcalo De’Unnero«, bestätigte Viscenti unter wiederholten Zuckungen; allein schon die Nennung dieses vermaledeiten Namens schien seine Selbstbeherrschung fortgespült zu haben, mit der er seinen nervösen Tick normalerweise unterdrückte.
»Und was bedeutet das nun?«, fragte der beleibte Abt Glendenhook.
»Es bedeutet das Ende der uns bekannten Welt«, erklärte ein anderer Meister verdrießlich.
Fio Bou-raiy bedachte ihn mit einem seiner stets beeindruckenden kurzen Seitenblicke und widerlegte damit seine Behauptung, ehe er auch nur ein einziges Wort gesprochen hatte. »Es bedeutet, dass die Zeit des Friedens und des Wachstums für uns zu Ende ist – vorübergehend«, verbesserte er, die Stimme wieder ernst und gefestigt. »Es bedeutet, dass wir, die wahren Vertreter des Abellikaner-Ordens, damit rechnen müssen, von Informanten und Verrätern und vielleicht sogar von einer Armee jenes Throns belagert zu werden, den wir bislang stets als unseren Verbündeten betrachtet haben. Gewiss sind den Oberen von St. Mere-Abelle solche Widrigkeiten nichts Unvertrautes, Meister Donegal. Wir sind durch den Großen Krieg, durch die Zeit der großen Umwälzungen innerhalb unseres Ordens und durch die Pest einiges gewöhnt. Sollen wir so rasch aufgeben?«
»Ich bitte um Verzeihung, ehrwürdiger Vater«, sagte Meister Jorgen Donegal und machte eine unterwürfige Verbeugung. »Wenn Abt Olin tatsächlich im Bund mit dem neuen König des Bärenreiches ist, bezweifle ich, dass er der gegenwärtigen Führung in St. Mere-Abelle wohlwollend gegenübersteht.«
»Abt Olin ist in erster Linie Abellikaner«, erklärte Fio Bou-raiy. »Er weiß um seine Stellung und um seine Verantwortung gegenüber dieser Kirche.«
»Wenn Marcalo De’Unnero ihm zur Seite steht?«, hörte Marlboro Viscenti sich leise fragen. Bou-raiy empfand für De’Unnero nichts als Hass, und dieses Gefühl beruhte gewiss auf Gegenseitigkeit. Wenn Abt Olin tatsächlich mit dem berüchtigten ehemaligen Mönch im Bunde war, dann war er mit Sicherheit weder ein Freund von St. Mere-Abelle noch jenes Mannes, der derzeit die abellikanische Kirche verkörperte.
»Ursal wird Veränderungen innerhalb der Kirche fordern«, sagte Abt Glendenhook.
»Laut Jilseponie ist das dort bereits geschehen«, erwiderte Meister Viscenti. »Ihrer Einschätzung nach ist Abt Ohwan in St. Honce wieder eingesetzt worden, wenn auch nur als Unterstützung für De’Unnero, der selbst das Amt des Abtes anstrebt.«
»Es steht nicht in der Macht der Krone, Äbte zu bestimmen!«, ereiferte sich Glendenhook.
»Dann hat es also schon begonnen«, warf Fio Bou-raiy ein, bei dem sich die ersten Anzeichen eben jener Verzweiflung bemerkbar machten, die so überdeutlich aus Meister Donegals Stimme herauszuhören gewesen war. »Wenn das alles stimmt, dann müssen wir davon ausgehen, dass Abt Olin und seine Gefolgsleute bereits damit begonnen haben, die abellikanische Kirche ihren Vorstellungen entsprechend umzugestalten.«
»Nach Ansicht von Bischof Braumin Herde wird Ursal verlangen, dass Olin das Amt des ehrwürdigen Vaters übernimmt«, erklärte Meister Viscenti unverblümt, und obwohl jeder im Raum dies dem Diskussionsverlauf entsprechend erwartet hatte, rief die Tatsache, dies offen ausgesprochen zu hören, erstauntes, ja sogar entsetztes Keuchen hervor.
Fio Bou-raiy blieb jedoch standhaft und sah Meister Viscenti fest in die Augen. »Und wie denkt Bischof Braumin darüber?«, wollte er wissen.
Marlboro Viscenti nahm eine aufrechte Haltung ein, sein schmächtiger Körper schien geradezu über sich hinauszuwachsen. »Bischof Braumin hat Eure Wahl zum ehrwürdigen Vater unterstützt«, erinnerte ihn der Meister aus St. Precious. »Doch selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, Bischof Braumin ist ein aufrechter Abellikaner, der niemals einen Mann unterstützen würde, der versucht, unsere Kirche mit Gewalt an sich zu reißen.«
Die Worte waren kaum ausgesprochen, als Viscenti bewusst wurde, wie absurd sie klingen mussten, denn waren nicht Braumin und alle anderen eben dadurch an die Macht
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