Schattenelf - 5 - Die Unterwerfung
herantritt?«, wagte Abt Glendenhook vorsichtig nachzufragen.
»Er hat seine Grenzen längst überschritten. Im Übrigen dürfte es ihm schwer fallen, Gründe vorzubringen, weshalb ich ihn nicht exkommunizieren sollte«, erklärte Fio Bou-raiy entschieden, was abermals nervöses Keuchen hervorrief, aber auch zustimmendes Raunen.
Meister Viscenti gehörte zu denen, die ihm beipflichteten; nach einer knappen Verbeugung bat er, sich verabschieden zu dürfen.
»Für Eure Rückkehr an den Masur Delaval könnt Ihr frei über unsere Wagen verfügen«, erklärte Fio Bou-raiy, worauf Viscenti sofort aufbrach, fest entschlossen, noch vor Anbruch der Dunkelheit wieder bei Bischof Braumin zu sein, einer Dunkelheit, die er nur als das Ende der ihm bekannten Welt zu sehen vermochte.
In seiner Privatkajüte an Bord der Flusspalast saß Herzog Bretherford vornübergebeugt auf der Kante seiner Koje und rieb sich zum wiederholten Mal mit den Händen über sein grau gewordenes Gesicht. Er hörte das geschäftige Treiben an Deck, sah den Lichtschein, der am Rand der dunklen Vorhänge hereinfiel, und nahm an, dass es bereits Morgen sein musste.
Wieder war eine Nacht vergangen, in der er nur unruhigen und immer wieder unterbrochenen Schlaf gefunden hatte. So ging das nun schon seit seiner Rückkehr nach Ursal, wohin er sofort nach der Nachricht von Danubes vorzeitigem Tod geeilt war.
Bretherfords Welt hatte sich mit einem Schlag verändert, und diese Veränderung überforderte ihn vollkommen. Stundenlang wälzte er sich unruhig hin und her, immer auf der Suche nach einer Stellung, in der man ihn akzeptieren würde, so wie es Kalas und vielen anderen Adligen aus Ursal gelungen war, aber bislang hatte er noch keine Lösung gefunden. Gerne wäre er an jenem schicksalsträchtigen Tag dabei gewesen und hätte die Geschehnisse persönlich miterlebt. Vielleicht wäre seine Bereitschaft dann größer gewesen, diesen jungen König und all die Versprechungen zu akzeptieren, von denen die anderen Adligen hinter vorgehaltener Hand erzählten.
Vielleicht hätte er Prinz Midalis dann in einem anderen Licht sehen können. Vielleicht …
Bretherford sah zu dem kleinen Tisch neben seiner Koje und zu der fast leeren Flasche mit dem daneben stehenden Glas.
Er hob das Glas ganz nah vor sein Gesicht, schwenkte es herum und verlor sich in der goldbraunen Flüssigkeit.
Schließlich stürzte er den Whiskey in einem Zug hinunter und wollte sich gerade einen weiteren einschenken, als ihn ein Klopfen an der Tür jählings innehalten ließ.
»Was gibt es denn?«, rief er mit müder Stimme.
Sein Ton und sein Benehmen änderten sich schlagartig, als die Tür aufgestoßen wurde und König Aydrian in die Kajüte trat.
»Mein König«, sprudelte Bretherford hervor, noch ehe er dazu kam, seine Worte zu überdenken. Er rutschte nervös hin und her und fuhr sich mit der Hand durch sein schütteres Haar. »Ich bin nicht darauf vorbereitet, Besucher zu empf–«
»Nur die Ruhe, mein lieber Herzog«, unterbrach ihn Aydrian, trat vollends ein und schloss die Tür hinter sich. »Ich würde gerne auf das Protokoll verzichten. Ich bin gekommen, um Euch um einen Gefallen zu bitten.«
Bretherford starrte ihn wie vom Donner gerührt an. Der König des Bärenreiches bat um einen Gefallen?
»Die Ereignisse haben sich ein wenig überstürzt«, begann Aydrian, ließ sich unaufgefordert auf einem Stuhl gegenüber Bretherfords Koje nieder und bat sein Gegenüber, als der sich so weit gefasst hatte, dass er den Versuch wagen konnte, aufzustehen und zu salutieren, mit einer Handbewegung, Platz zu behalten.
»Ihr wisst, dass Abt Olin nach Entel abgereist ist?«, fragte Aydrian.
»Ich nehme an, er ist bereits schon seit einiger Zeit unterwegs, ja.«
»Wisst Ihr auch, wohin er von dort aus will?«
»Nach Jacintha«, antwortete Bretherford. Aydrian nickte.
»Es geht um einen sehr riskanten Auftrag«, fuhr der junge König fort. »Man darf die Behreneser nicht unterschätzen. Sie haben das Zeug zu einem überaus mächtigen Gegner, auch wenn ich mir darüber im Klaren bin, dass sich dem Bärenreich nie wieder eine so günstige Möglichkeit bieten wird wie in diesem Augenblick, die Bande zu unseren Nachbarn im Süden zu festigen.«
Sie zu erobern, meint Ihr wohl , dachte Bretherford, verzog jedoch keine Miene.
»Abt Olin hat eine mächtige Flotte unter seinem Kommando, allerdings ist er gezwungen, deren Bewegungen mit denen einer Landstreitmacht abzustimmen«, erläuterte
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