Schattenelf - 5 - Die Unterwerfung
gekommen? Nachdem Markwart auf Abwege geraten war, hatten Braumin und Viscenti an der Seite von Jilseponie und Elbryan gekämpft, um ihm die Kirche wieder zu entreißen.
»Nicht, dass die Kirche selbst auf Abwege geraten wäre«, beeilte sich Viscenti hinzuzufügen. »In den letzten beiden Jahrzehnten haben wir viel hinzugelernt, insbesondere durch das Wunder von Aida. Wir folgen dem Weg St. Abelles und des bald heilig gesprochenen Avelyn. Wir befolgen die Befehle von St. Mere-Abelle und Fio Bou-raiy im völligen Vertrauen darauf, dass diese Befehle in Übereinstimmung mit den Lehren stehen, auf denen unser Glaube fußt. Bischof Braumin würde in dieser Sache St. Mere-Abelle oder den ehrwürdigen Vater Bou-raiy nicht einmal um den Preis seines eigenen Lebens im Stich lassen. Wenn Marcalo De’Unnero St. Precious zu betreten wünscht, dann nur als Eroberer oder aber in Ketten! Und dieser Punkt ist nicht verhandelbar!«
Die aufwühlende kleine Ansprache schien Fio Bou-raiy, aber auch allen anderen im Saal neuen Auftrieb zu geben.
»Ihr sagtet, De’Unnero und Herzog Kalas marschierten von Ursal aus in Richtung Palmaris«, hakte Bou-raiy nach.
»Das Letzte, was ich hörte, ehe Kapitän Al’u’met mich den Masur Delaval hinunterbrachte, war, dass sie flussaufwärts bereits bis auf halbem Weg nach Palmaris seien«, erklärte Viscenti. »Während sie Aydrian als neuen König ausrufen, verleiben sie sich ganze Landstriche ein. Dabei kam es nur zu einigen Scharmützeln, denn das Volk verfügt über keinen geeigneten Schlachtruf, um diesen verräterischen Thronräuber bloßzustellen. Vermutlich weiß nicht einmal Prinz Midalis in Vanguard vom Tod seines Bruders und seines Neffen Merwick, geschweige denn, dass sein anderer Neffe, der einzige andere Thronanwärter, als vermisst gilt. Kapitän Al’u’met ist derzeit auf dem Weg nach Vanguard; es wird jedoch Wochen, eventuell sogar Monate dauern, bis Midalis die Truppen für eine angemessene Reaktion zusammenstellen kann. Bis dahin dürfte sich in der ahnungslosen Bevölkerung nicht viel Widerstand gegen König Aydrian regen, erst recht nicht, da mittlerweile die Legionen Ursals und Entels hinter ihm stehen.«
Fio Bou-raiy verschränkte die Finger nachdenklich vor seinem Körper und brauchte lange, um diese Worte zu verdauen. »Dann müssen wir das Volk eben informieren«, entschied er. »Dann müssen wir uns eben gegen diesen Verrat behaupten und bis zu Prinz Midalis’ Eintreffen alle Widerstandskräfte gegen diesen betrügerischen König mobilisieren.«
»Das wird Tausende das Leben kosten«, gab Meister Donegal zu bedenken.
Eigentlich stand es Viscenti nicht zu, in diesem Moment das Wort zu ergreifen, denn die Bemerkung war an Fio Bou-raiy gerichtet gewesen, aber im Gegensatz zu den anderen sprachen nicht nur seine Überzeugungen, sondern auch das Gewicht seiner früheren Taten für ihn, also antwortete er: »Es gibt Dinge, für die es sich zu sterben lohnt, Bruder.«
Fio Bou-raiy nahm eine noch steifere Haltung an und schenkte Viscenti ein anerkennendes Nicken. »Ihr müsst so schnell wie möglich nach St. Precious zurückkehren«, wies er den nervösen Meister an. »Erklärt Bischof Braumin, er muss Palmaris für diese Armee uneinnehmbar machen. Wenn Aydrian sich selbst zum König ausruft, dann ist die Armee, die er befehligt, weder die Armee des Bärenreiches noch die des Hauses Ursal, weshalb man ihr unter keinen Umständen Zutritt in die diesem Familienzweig treu ergebene Stadt gewähren darf.«
Starke Worte, das wusste Meister Viscenti, vor allem aus dem Mund jenes Mannes, der am meisten zu verlieren hatte, auch wenn er sich in dem bestgesicherten Bollwerk des Bärenreiches der gesamten Welt verhältnismäßig sicher wähnen durfte. Manche Dinge waren es gewiss wert, für sie zu sterben, und sie waren es wert, dass man anderen den Einsatz ihres Lebens abverlangte.
»Entsendet offizielle Gesandte an sämtliche Abteien außerhalb Ursals, auch nach St. Rontlemore«, wies Fio Bou-raiy Meister Donegal in Anspielung auf die zweite Abtei in Olins Heimatstadt Entel an, eine Einrichtung, die schon seit langem im Schatten der einflussreicheren Abtei St. Bondabruce und des mächtigen Abts Olin stand. »Sorgt dafür, dass niemand dort vergisst, wer dieser Marcalo De’Unnero in Wahrheit ist, und dass niemand in Abt Olins Vorgehen etwas anderes sieht als Verrat und Ketzerei.«
»Wissen wir denn sicher, dass Abt Olin nicht ganz höflich und mit einer Erklärung an uns
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