Schattenelf - 5 - Die Unterwerfung
kleinwüchsigen Mann, den eine schlimme, wachstumshemmende Kinderkrankheit um ein Haar das Leben gekostet hätte. Trotz seiner geringen Körpergröße war Roger ein Mann von ausgeprägtem Charakter. Während des Krieges gegen die Günstlinge des geflügelten Dämons hatte Roger, einsamer Held eines verlorenen Volkes, sich als Fanal der Hoffnung erwiesen. Und während der Zerreißprobe im Kampf gegen Markwart hatte er fest an Jilseponies und Elbryans Seite gestanden. Unter Elbryans Schutz war Roger über sich hinausgewachsen und zu einem Freund geworden, wie ihn sich Jilseponie – Pony – nicht besser hätte wünschen können.
»Begleiten?«, fragte Roger zögernd und blickte kurz zur anderen Tischseite, wo seine Frau Dainsey schweigend zuschaute. Wie Roger wirkte sie wegen ihrer spindeldürren Glieder auf den ersten Blick etwas zerbrechlich. Um ein Haar wäre sie der Rotfleckenpest zum Opfer gefallen; sie hatte bereits in den letzten Zügen gelegen, als Jilseponie sie zum versteinerten Arm von Avelyn Desbris brachte, wo sie als Erste in den Genuss des Wunders von Aida kam. Doch obwohl sie die Pest besiegen konnte, hatte sie nie wieder zu ihrer früheren robusten Gesundheit zurückgefunden. Mittlerweile war ihr Haar grau und schütter, und ihre Augen lagen eingesunken in den Höhlen ihres knochigen Schädels.
»Zuerst einmal nach Dundalis«, erklärte Jilseponie. »Ich muss unbedingt Bradwarden finden. Anschließend dann nach Andur’Blough Inninness – obwohl ich diese Reise wohl eher alleine unternehmen werde.«
»Du willst tatsächlich zu den Elfen gehen und sie befragen?«, wollte Roger wissen.
»Wie könnte ich darauf verzichten?«
»Glaubst du wirklich, sie sind deine Freunde?« Kopfschüttelnd betonte Roger: »Sie sind es nicht. Die gegenwärtige Entwicklung ist der beste Beweis dafür, dass sie trotz aller –«
»Dasslerond ist mir eine Antwort schuldig!«, ereiferte sich Jilseponie; der Zorn, der dabei in ihren blauen Augen aufblitzte, ließ Roger leicht zusammenzucken. Doch dann wanderte der Blick des klein gewachsenen Mannes wieder zu Dainsey hinüber, die ihm aufmunternd zunickte, und er nahm seinen ganzen Mut zusammen.
»Lady Dasslerond ist nicht deine Freundin, Pony«, wiederholte er ruhig.
Jilseponie wollte bereits etwas erwidern, aber dann ließ sein plötzlich düsterer Tonfall, der offenbar andeuten sollte, er verfüge über Kenntnisse, von denen sie nichts ahnte, sie zögern.
»Als du in Ursal warst und dort als Königin regiert hast, war eine Abordnung von Lady Dasslerond bei mir«, erklärte er ruhig.
»Du hast von Aydrian gewusst?« Da war es wieder, dieses zornige Blitzen in ihren Augen, plötzlich und unvermittelt; Jilseponie sprang sogar von ihrem Stuhl auf.
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Roger und legte ihr beruhigend die Hände auf die Schultern. »Diese Abordnung von Lady Dasslerond hat mich in Ursal aufgesucht und mich gebeten, dich sorgfältig im Auge zu behalten. Dasslerond hat Angst vor dir, die hatte sie schon immer, denn du besitzt etwas, das du, in ihren Augen zumindest, eigentlich gar nicht besitzen dürftest.«
Jilseponie beruhigte sich wieder und ließ sich auf ihren Stuhl sinken. »Den Bi’nelle dasada «, überlegte sie laut. »Lady Dasslerond befürchtet – und diese Befürchtung hatte sie schon immer –, ich könnte die Soldaten des Bärenreiches im Schwerttanz der Elfen unterrichten.«
»Ihr Volk ist nicht sehr zahlreich«, gab Roger zu bedenken. »Es hat Angst um seine Existenz.«
»Und das gibt ihr das Recht, ein Kind aus dem Mutterleib zu stehlen?«, ereiferte sich Jilseponie, die Stimme vor Empörung wieder lauter.
»Natürlich nicht, das behauptet ja auch niemand«, warf Dainsey ein.
»Ich weiß, wie dir zumute sein muss –«, begann Roger.
»Nein, tust du nicht«, beharrte Jilseponie.
Roger gab ihr in diesem Punkt mit einem kurzen Nicken Recht. »Mitten unter uns gibt es einen Feind, der immer stärker wird«, sagte er. »Wieso willst du zu den Elfen gehen und noch einen Krieg vom Zaun brechen, wo bereits einer vor deiner Haustür tobt?«
»Das sind Fragen –«
»Die später geklärt werden können«, fiel Roger ihr ins Wort.
»Nein, sofort!«, entgegnete Jilseponie. »Dieser Krieg innerhalb der Grenzen des Königreiches ist nicht mein Krieg. Ich habe nicht mehr das geringste Bedürfnis, Krieg zu führen. Diesen De’Unnero soll der Teufel holen, und das wird auch geschehen, davon bin ich überzeugt, aber bis dahin sind er und
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