Schattenelf - 5 - Die Unterwerfung
Aydrian für das Volk des Bärenreiches ein Problem.«
»Und für dich nicht?«, fragte Roger, worauf sie ihn durchdringend ansah. »Willst du diese Menschen wirklich im Stich lassen? Dieselben Menschen, denen du dein ganzes Leben lang gedient hast?«
»Und denen ich alles gegeben habe, was ich zu geben hatte.«
»Dieser Verlust betrifft eher dich als sie«, erwiderte Roger.
Seine Worte trafen Jilseponie zutiefst, vermochten in diesem Moment aber, soweit es ihre derzeitigen Pläne betraf, keinen nennenswerten Sinneswandel zu bewirken. »Morgen früh werde ich nach Dundalis aufbrechen. Dabei wäre mir eure Gesellschaft höchst willkommen, aber wenn ihr nicht mitkommen wollt, reite ich auch allein.«
Mit diesen Worten erhob sie sich und verließ Chasewind Manor, das prächtigste Anwesen in ganz Palmaris und vormals Herrschaftssitz der Familie Bildeborough. Hier hatte Jilseponie gelebt, als sie, zuerst als Baronin, danach als Bischöfin, die Stadt regiert hatte; als sie dann später in den Süden gegangen war, um König Danube zu ehelichen, hatte sie die Verwaltung des Hauses Roger und Dainsey übertragen.
Sie hatte das Haus kaum verlassen und noch nicht einmal das Tor auf der anderen Hofseite erreicht, als sie das Getrappel galoppierender Pferde und das Geschrei einer aufgebrachten Menschenmenge hörte. Wie gelähmt von der wachsenden Unruhe in der Stadt – einem allgemeinen Aufruhr, der, das konnte sie sogar von hier, vom höher gelegenen Westrand aus erkennen, auf die gesamte Stadt übergegriffen hatte – blieb sie auf dem Gehweg vor Chasewind Manor stehen.
Regungslos verharrte sie und lauschte, bis sie sogar die Rufe der Herolde unterscheiden konnte.
Einen Augenblick später kamen auch Roger und Dainsey aus dem Haus gelaufen und gesellten sich zu ihr.
»Braumin hat die Leute aufgestachelt«, bemerkte Roger. »Er ist offenbar entschlossen zu kämpfen.«
»Und die Leute schließen sich dieser Entscheidung voller Begeisterung an«, setzte Dainsey hinzu.
Jilseponie sah die beiden an und wollte etwas erwidern, doch auf einmal waren die Rufe bereits ganz in der Nähe der Tore von Chasewind Manor zu hören; ein Reiter galoppierte mit dem Ruf »Lang lebe Prinz Midalis!« auf den Lippen vorüber, gefolgt von einem schmerzlichen »Tod dem Thronräuber Aydrian!«.
Jilseponie, das Gesicht erstarrt zu einer Maske aus Entsetzen und Wut, fuhr keuchend herum.
»So weit wird es nicht kommen«, versuchte Roger sie zu beruhigen, trat dicht neben sie und legte ihr einen Arm um die Hüfte. »Die Leute haben Angst, weiter nichts. Das ganze großmäulige Gehabe dieser Schreihälse dient lediglich dazu, die Leute für ihre Zwecke einzuspannen. Sie können unmöglich –«
Jilseponie hob die Hand und schnitt ihm das Wort ab. Sie wusste nur zu gut, wie wichtig solche starken Worte waren, wenn man gezwungen war, das Volk in Kürze aufzufordern, sich gegen eine ganze Armee zu behaupten.
Aber das machte den Stich nicht weniger schmerzlich.
»Ihr habt Euch also entschlossen zu kämpfen«, sagte Jilseponie, als sie wenig später in Bischof Braumins Arbeitszimmer in St. Precious mit ihm und Meister Viscenti zusammentraf.
»Die Entscheidung lag nie in unserer Hand«, erwiderte Braumin. »Ich habe lediglich auf dem großen Platz vor St. Precious Audienz gehalten.«
»Ohne mich oder Roger auf Chasewind Manor zu benachrichtigen?«
»Ich hatte ursprünglich gar nicht vor, mich in meiner Rede so eindeutig festzulegen«, erklärte ihr Braumin. Sie wusste sofort, dass er die Wahrheit sagte. »Ich wollte die versammelte Menge lediglich auffordern, genau zu prüfen, wie sie in dieser Sache empfinden.«
»Wisst Ihr überhaupt, was Ihr da von den Menschen verlangt?«
»Ich weiß, was sie von mir verlangt haben«, erwiderte Braumin.
»Nachdem er den Leuten die Wahrheit über unseren selbst ernannten König und seinen Komplizen erzählt hatte, musste die Menge nicht länger überzeugt werden«, warf Meister Viscenti ein. »Die Leute werden niemals zulassen, dass Marcalo De’Unnero hierher zurückkehrt, es sei denn in Ketten!«
»Sie stehen treu zum Haus Ursal, dem die Krone gestohlen wurde«, fügte Braumin hinzu.
Jilseponie sah ihn durchdringend an und erkannte deutlich den Konflikt, der sich in seinem Inneren abspielte. Gewiss, er war ein wenig erleichtert, dass die Leute seine schlichte Darlegung der Tatsachen geradezu begierig aufgenommen und von da an die Dinge selbst in die Hand genommen hatten, aber dennoch war bei Braumin
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