Schattenfall
einer Mutter wirklich das Herz aufgehen.«
Er spürte, dass sie sich merkwürdig verhielt. Ob sie am Rande eines Nervenzusammenbruchs stehen mochte? Andererseits aber schien sich in letzter Zeit jeder in seiner Gegenwart seltsam unwohl gefühlt zu haben. Xerius ging fest davon aus, das läge daran, dass seine Umgebung mit der zum Greifen nahen Umsetzung der beiden wichtigsten Punkte seines Plans endlich die in seiner Person waltende Göttlichkeit bemerkt hatte.
»Wir leben in schwierigen Zeiten, Mutter. Die Lage ist viel zu ernst, als dass wir die Zukunft vernachlässigen dürften.«
Sie sah ihn an und taxierte ihn so männlich wie kokett. Die Sonne verstärkte ihre Falten und rückte zugleich eine Wange in den gnädigen Schlagschatten ihrer Nase. Alte Leute waren hässlich an Körper und Seele – das dachte Xerius seit langem. Wie viel Hoffnung ein Mensch auch gehabt haben mochte: Mit dem Altern wurde daraus unumkehrbar Groll und Enttäuschung. Was den jungen Menschen kraftvoll und ehrgeizig dünkte, erschien dem alten schwach und lüstern.
Du bist widerlich, Mutter – in deiner Erscheinung und in deinem Verhalten.
Einst war die Schönheit seiner Mutter legendär gewesen. Als sein Vater noch lebte, war sie der gefeiertste Besitz des Reichs: Ikurei Istriya, die Kaiserin von Nansur, die sich bei der Heirat die Auflösung des kaiserlichen Harems hatte ausbedingen dürfen.
»Ich hab mir vorhin die Audienz angesehen«, sagte sie sanft. »Ein Fiasko! Hab ich dir das nicht exakt vorhergesagt, mein gottgleicher Sohn?« Ihr Lächeln ließ ihren dick geschminkten Mund haarfeine Risse bekommen. Xerius verspürte plötzlich eine zehrende Sehnsucht, diese Lippen zu küssen.
»Ja, Mutter, vermutlich.«
»Warum bestehst du dann weiter auf diesem Unsinn?«
Und jetzt auch noch diese hanebüchene Wendung: Seine Mutter maßte sich an, gegen die schöne Vernunft zu argumentieren!
»Wieso denn Unsinn, Mutter? Der Vertrag wird zur Wiederherstellung des Kaiserreichs in alter Pracht führen.«
»Aber wenn sich selbst ein Schwachkopf wie Calmemunis nicht dazu verleiten lässt, ihn zu unterschreiben, hat deine Idee mit dem Vertrag doch keine Chance! Nein, du dienst dem Kaiserreich am besten, indem du dem Heiligen Krieg dienst, Xerius.«
»Hat Maithanet auch dich verzaubert, Mutter? Aber wie verzaubert man eine Hexe?«
Sie lachte. »Indem man ihr anbietet, ihre Feinde zu vernichten – wie sonst?«
»Aber dein Feind ist die ganze Welt, Mutter. Oder täusch ich mich da?«
»Die Welt ist jedes Menschen Feind, Xerius. Du tätest gut daran, das nicht zu vergessen.«
Aus dem Augenwinkel sah er einen Wächter an Skeaös herantreten und ihm etwas ins Ohr flüstern. Harmonie – so hatten seine Auguren ihn gelehrt – war etwas Musikalisches und erforderte, sich auf jeden Umstand bis ins Kleinste einzustellen. Xerius war jemand, der die Dinge nicht sehen musste, um sie zu durchschauen. Er besaß ein fein entwickeltes Misstrauen.
Der alte Berater nickte und sah seinen Kaiser dann kurz mit besorgten Augen an.
Sind die gerade dabei, sich zu verschwören? Ist das Verrat? Doch er tat diese Gedanken mit einem Achselzucken ab – sie kamen ihm viel zu oft, als dass er ihnen trauen konnte.
Als habe sie erraten, was ihn ablenkte, wandte Istriya sich an den alten Berater. »Was meinst du, Skeaös? Was sagst du zur kindischen Habgier meines Sohns?«
»Habgier?«, rief Xerius. Warum forderte sie ihn nur derart heraus? »Kindisch?«
»Was sonst? Du vergeudest die Gaben der Hure Anagke. Erst beschert dir das Schicksal diesen Maithanet, und du versuchst gegen meinen Rat, ihn umbringen zu lassen. Warum? Weil er nicht tut, was du willst! Dann beschert dir Anagke den Heiligen Krieg, ein Werkzeug, mit dem du unseren alten Feind zerschmettern könntest. Und weil du den Feldzug nicht kommandierst, versuchst du ihn zu sabotieren! Das sind die Wutanfälle eines Kindes, nicht die Finten eines gerissenen Kaisers.«
»Glaub mir, Mutter – ich will den Heiligen Krieg nicht verhindern, sondern arbeite auf ihn hin. Und dazu gehört auch, dass Calmemunis den Vertrag unterschreibt.«
»Mit deinem Blut! Hast du vergessen, was passiert, wenn Hunger und Fanatismus zusammenkommen? Das sind Krieger, denen der Glaube das Hirn vernebelt hat. Männer, die erlittene Schmach rächen! Erwartest du wirklich, dass sie deine Erpressung hinnehmen? Du setzt das Kaiserreich aufs Spiel, Xerius.«
Das Kaiserreich aufs Spiel setzen? Aber nein! Aus Furcht vor den Scylvendi
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