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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Satz Nachdruck zu verleihen, trat er das Bronzepult um, und das Pergament segelte zu Boden. Dann zeigte Xerius auf den aufgespießten Vogel zu seinen Füßen. »Was das bedeutet, will ich wissen.«
    »Glück!«, rief Arithmeas aus – der Augur und Astrologe, den der Kaiser am meisten schätzte. »Bei den unteren Kasten wird groß gefeiert, wenn einen ein Vogel… äh – trifft.«
    Xerius bemühte sich zu lachen – vergeblich. »Aber beschissen zu werden, ist doch das einzige Los, das sie kennen, oder?«
    »Dennoch steckt in diesem Glauben große Weisheit, gottgleicher Kaiser. Ein kleines Missgeschick wie dieses – so meinen sie – bedeutet Gutes. Denn ein Quäntchen Galle sollte jeden unserer Triumphe begleiten, um uns an unsere Schwäche zu mahnen.«
    Seine Wange kribbelte, als würde auch sie die Wahrheit dieser Augurenworte erkennen. Ja, das war ein Omen gewesen! Und zwar ein gutes! Er spürte es!
    Wieder haben die Götter mich berührt!
    Plötzlich neu belebt, stieg er die Stufen hoch und lauschte dabei gierig Arithmeas, der ihm erklärte, wie dieses Ereignis mit seinem Stern zusammenhänge, der gerade ins Haus der Anagke, der Hure des Schicksals, getreten sei und jetzt mit ihr und dem Nagel des Himmels eine Achse bilde. »Eine hervorragende Konjunktion«, rief der beleibte Augur. »Wirklich eine ganz hervorragende Konjunktion!« Statt sich wieder auf den Thron zu setzen, strebte Xerius mit großen Schritten nach draußen und bedeutete Arithmeas, ihn zu begleiten. Mit einer kleinen Schar von Amtsträgern im Schlepp ging der Kaiser zwischen großen Säulen aus rosafarbenem Marmor hindurch, die dort aufragten, wo die Halle eigentlich eine Wand hätte haben sollen, und trat auf die Terrasse hinaus.
    Unter ihm erstreckte sich Momemn wie ein gewaltiges Fresko in rauchigen Farben gegen die sinkende Sonne. Sein Palast, die Andiamin-Höhen, bildete das seewärts gelegene Viertel der Stadt, und von hier aus konnte er das labyrinthische Momemn vollständig übersehen: von den viereckigen Türmen der Kaserne der Kaiserlichen Garde im Norden über die riesigen Promenaden und Gebäude des Tempelbezirks Cmiral direkt im Westen zum übervölkerten Chaos des Hafens an den Ufern des Phayus im Süden.
    Während er Arithmeas weiter zuhörte, blickte er über die ferne Stadtmauer dorthin, wo die sinkende Sonne die Wälder und Felder der Umgebung ihrer eigentlichen Farben beraubte und alles in ein gleichmäßiges, dunstiges Rotbraun tauchte. Dort konnte er die großen und kleinen Zelte des Heiligen Kriegs erkennen, die über die Landschaft verstreut waren wie Schimmel auf Brot. Bis jetzt waren es nicht viele, doch schon in ein paar Monaten – das war Xerius klar – mochten sie dicht an dicht bis zum Horizont stehen.
    »Aber der Heilige Krieg, Arithmeas… Bedeutet all dies, dass ich mich des Heiligen Krieges werde bemächtigen können?«
    Der Kaiserliche Augur schob seine dicken Finger ineinander und schüttelte bestätigend die Hängebacken. »Doch die Wege des Schicksals sind schmal und steinig, gottgleicher Kaiser. Da gibt es viel für uns zu tun.«
    Xerius war so auf die Diagnosen und Anweisungen seines Auguren – darunter die genaue Anleitung zum Schlachten von zehn Bullen – konzentriert, dass er die Ankunft seiner Mutter zunächst nicht bemerkte. Doch da stand sie als schmaler Umriss am Rand seines Gesichtsfelds – unverwechselbar wie der Tod.
    »Bereitet also die Tieropfer vor, Arithmeas«, erklärte er entschieden. »Das reicht für heute.«
    Als der Augur ging, sah Xerius Sklaven ein Wasserbecken anschleppen.
    »Arithmeas?«
    »Ja, gottgleicher Kaiser?«
    »Meine Wange… kann ich die waschen?«
    Der Augur fuchtelte mit den Händen. »Nein! Auf keinen Fall, gottgleicher Kaiser. Ihr solltet unbedingt mindestens drei Tage damit warten. Unbedingt.«
    Xerius gingen noch weitere Fragen durch den Kopf, doch seine Mutter war zu ihm getreten, gefolgt von ihrem watschelnden Eunuchen mit seiner ungeheuren Leibesfülle. Sie bewegte sich mit der gertenschlanken Anmut einer fünfzehnjährigen Jungfrau, war aber schon sechzig und hatte nie einen Mann von der Bettkante gestoßen. Jetzt wandte sie ihrem Sohn das von einem Fächer aus blauem Musselin und Seide durchbrochene Profil zu und überblickte die Stadt, wie er es gerade getan hatte. Die Pailletten ihres jadegrünen Kopfschmucks warfen das Sonnenlicht blitzend zurück.
    »Ein Sohn«, bemerkte sie nüchtern, »der auf das Geplapper eines fetten Narren hört – das lässt

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