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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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beschriftet – über den Truppen im Wind. Zwischen den Einheiten zog sich eine breite Allee bis zur hochaufragenden Fassade des Forum Allosianum, hinter dem die Gärten, Wohnbauten und Kolonnaden der Andiamin-Höhen aus dem Dunst stiegen.
    Conphas sah, dass sein Onkel – eine ferne Gestalt zwischen den mächtigen Säulen des Forums – sie erwartete. Trotz allen kaiserlichen Prunks wirkte er unauffällig wie ein Einsiedler, der blinzelnd am Eingang seiner Höhle steht.
    »Ist das dein erster Staatsempfang beim Kaiser?«, fragte Conphas seinen General.
    Martemus nickte und sah ihn etwas betreten an. »Ich bin zum ersten Mal im Palastviertel.«
    »Willkommen im Gehudel«, meinte Conphas grinsend.
    Stallburschen übernahmen ihre Pferde. Dem Brauch entsprechend, schleppten die Erbpriester von Gilgaöl Wasserschüsseln herbei. Wie Conphas erwartet hatte, strichen sie ihm Löwenblut auf die Glieder und tupften diese symbolischen Wunden gleich wieder ab, wobei sie Gebete murmelten. Die Tempelpriester in ihrem Schlepptau dagegen überraschten ihn. Sie salbten ihn mit Ölen, brummten dazu segnende Worte, tunkten dann die Finger in Palmwein und zeichneten ihm damit den Stoßzahn auf die Stirn. Erst als sie den Ritus mit dem Ruf »Beschützer des Stoßzahns« beendeten und ihm dadurch einen neuen Titel zusprachen, begriff er, warum sein Onkel den Auftritt dieser Priester in die Zeremonie eingebaut hatte. Die Scylvendi waren Heiden wie die Kianene – warum also nicht die omnipräsente Begeisterung für den Heiligen Krieg ausnutzen?
    Conphas durchschaute sofort und mit einigem Widerwillen, dass die Salbung ein brillanter Schachzug war, weshalb wohl Skeaös dahintersteckte. Und er hatte den deutlichen Eindruck, sein Onkel habe, was immer er an Brillanz besaß, erschöpft – vor allem hinsichtlich des Heiligen Kriegs.
    Der Heilige Krieg… Obwohl Conphas erst am Vortag in Momemn angekommen war, weckte der bloße Gedanke an diesen Feldzug schon jetzt in ihm den Wunsch, wie ein Scylvendi auf den Boden zu rotzen.
    Er hatte noch nie etwas empfunden, das seiner Euphorie bei der Schlacht am Kiyuth auch nur nahegekommen wäre. Umgeben von einem fast panischen Offiziersstab, hatte er die unentschieden tobende Schlacht betrachtet und auf unerklärliche Weise gewusst und mit einer Sicherheit, die ihm das Gefühl der Unverwundbarkeit gab, gespürt: Ich habe hier das Heft in der Hand. Und ich bin zu Höherem berufen… Dieses Gefühl hatte einer Verzückung, einer religiösen Ekstase geähnelt. Es war, wie er später begriffen hatte, eine Offenbarung gewesen, ein Moment göttlicher Einsicht in die grenzenlose Macht seines Wirkens.
    Eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
    Doch wer hätte gedacht, dass Offenbarungen – wie Fleisch – im Laufe weniger Tage ungenießbar werden können?
    Zunächst war alles ausnehmend gut gelaufen. Nach der Schlacht waren die überlebenden Scylvendi in die weite Steppe geflohen. Einige versprengte Haufen hatten das Heer noch beschattet, aber nur vereinzelte Angriffe gegen die Nachhut zu reiten vermocht. Conphas hatte der Versuchung nicht widerstehen können, seinen Triumph bis zum Anschlag auszureizen, und dafür gesorgt, dass zwölf Gefangene »zufällig« mitbekamen, wie seine Offiziere jene Stämme lobten, die das Volk der Scylvendi verraten hatten; gerade diesen Gefangenen war später – durch Kühnheit und Einfallsreichtum, die nicht auf ihrem Mist gewachsen waren – wundersamerweise die Flucht gelungen. Nicht nur würden ihnen die restlichen Scylvendi, wie Conphas sicher annahm, die Verratsgeschichte glauben: Sie würden sogar hoch erfreut darüber sein, da es für die Überlebenden viel schmeichelhafter war, durch Verrat im Innern als durch die Überlegenheit des Feindes geschlagen worden zu sein. Ach, süße Zwietracht – es würde lange dauern, bis die Scylvendi wieder gemeinsam in den Kampf zögen.
    Wenn Zwietracht nur so einfach zu heilen wie zu säen wäre! Ein paar Monate zuvor hatte Conphas seinem Onkel versprochen, beim Rückmarsch die gesamte Strecke von der Reichsgrenze bis zur Hauptstadt mit den aufgespießten Köpfen der Scylvendi zu markieren. Dafür hatte er die Schädel aller am Kiyuth gefallenen Krieger einsammeln, teeren und zuhauf auf Wagen laden lassen. Kaum aber hatte das Heer die Grenze zum Kaiserreich überschritten, hatten Kartografen und Mathematiker über die Abstände zu zanken begonnen, in denen die grausigen Trophäen aufzustellen seien. Als der Streit sich nicht

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