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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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das aber weiß der Sklave.
    Darum fährt er fort: »Ich habe Euch beobachtet, Skiötha, und mich gefragt, wie stark Ihr wohl seid. Das fragen sich hier viele… Habt Ihr das gewusst?«
    Das Lachen seines Vaters verliert immer mehr an Zuversicht, während das Feuer leise vor sich hin prasselt.
    Dann antwortet Skiötha: »Ich habe meine Stärke längst unter Beweis gestellt, Sklave«, hat dabei aber offenbar Angst, seine Stammesbrüder anzuschauen.
    Wie von diesen Worten geschürt, flackert das Feuer hell auf und dringt tiefer ins Dunkel zwischen den zur Beratung versammelten Männern. Die anschwellende Hitze lässt Cnaiürs Haut unangenehm kribbeln.
    »Aber auf so einem Beweis darf man sich nicht ausruhen, Skiötha«, gibt der Sklave zurück. »Was man früher geleistet hat, daran wird man gemessen. Das Gewogenwerden höret nimmer auf.«
    Mittäterschaft verunmöglicht Vergessen und schraubt die Ereignisse mit unerträglicher Klarheit ins Bewusstsein – als gewährleiste erst die überdeutliche Erinnerung an selbst die kleinste Einzelheit den Höllensturz ins Gefängnis der Reue. Das Feuer ist inzwischen so heiß, als sei es auf seinen Schoß übergesprungen, während er mit Hintern und Oberschenkeln weiter auf dem eiskalten Boden sitzt. Die Zähne hat er zusammengebissen, als wolle er Sand zwischen ihnen mahlen. Und nun wendet der Norsirai-Sklave ihm sein bleiches Gesicht mit den strahlend blauen Augen zu, die unendlicher scheinen als der Himmel. Und ungemein fordernd und verpflichtend, als wollten sie sagen:
    Erinnerst du dich an deine Rolle?
    Und Cnaiür ist auf seinen Einsatz vorbereitet.
    Von seinem Platz zwischen den sitzenden Männern aus fragt er: »Hast du Angst, Vater?« Wahnwitzige Worte! Wahnwitzig und heimtückisch!
    Sein Vater wirft ihm einen stechenden Blick zu, und Cnaiür senkt die Augen. Skiötha wendet sich an den Sklaven und fragt erzwungen gleichgültig: »Worum wolltest du noch mal wetten?«
    Und Cnaiür packt panische Angst, er könnte sterben.
    Angst, der Sklave Anasûrimbor Moënghus könnte sterben!
    Er fürchtet nicht um seinen Vater, sondern um Moënghus…
    Später, als Skiötha tot am Boden liegt, weint er vor den Augen des ganzen Stamms – und zwar vor Erleichterung.
    Endlich ist Moënghus, der sich Dunyain genannt hat, frei!
    Wie tief uns manche Namen prägen! Dreißig Jahre ist das her, einhundertzwanzig Jahreszeiten – im Leben eines Einzelnen ist das eine lange Zeit.
    Und doch schien es Cnaiür, als sei es gestern gewesen.
    Manche Ereignisse prägen uns abgrundtief.
     
     
    Cnaiür floh. Nach Einbruch der Dunkelheit stahl er sich zwischen den mit hellen Fackeln Streife gehenden Nansur hindurch. Die Nacht stand wie eine riesige umgestülpte Schüssel über ihm, in die er sich am liebsten hineingestürzt hätte, um den Vorwürfen zu entgehen, die ihn mit jedem Schritt ansprangen.
    Die Toten verfolgten ihn – und zwar auf seinen eigenen Füßen.

7. Kapitel
     
    MOMEMN
     
     
     
    Die Welt ist ein Kreis,
    der so viele Mittelpunkte wie Bewohner hat.
     
    Ajencis: Dritte Analyse des Menschengeschlechts
     
     
     
    MOMEMN, SPÄTSOMMER 4110
     
    Ganz Momemn hatte donnernd gejubelt.
    Als Ikurei Conphas unter dem gewaltigen Xatantiusbogen vom Pferd stieg, ließ ihn der Schatten frösteln. Sein Blick schweifte über die Relieftafeln, die reihenweise Gefangene und Kriegsbeute zeigten. Dann wandte er sich an General Martemus und war drauf und dran, ihm zu sagen, nicht einmal Xatantius habe die Scylvendi-Stämme befrieden können. Ich habe vollbracht, was niemand je vollbrachte, und bin auf halbem Weg in den Olymp.
    Conphas wusste nicht mehr, wie oft ihn dieser atemberaubende Gedanke schon heimgesucht hatte, und obwohl er es ungern zugegeben hätte, verlangte es ihn sehr danach, ihn aus dem Munde anderer zu vernehmen – vor allem aus dem des Martemus. Wenn er ihm diesen Satz nur entlocken könnte! Martemus hatte die ungekünstelte Offenheit des altgedienten Berufsoffiziers. Schmeichelei war für ihn unter aller Kritik. Wenn er etwas sagte, meinte er es ehrlich – das wusste Conphas.
    Doch zu einem Gespräch mit seinem General war jetzt keine Gelegenheit. Martemus stand überwältigt da und betrachtete den Campus Scuärius, den Paradeplatz des Palastviertels. Schlachtreihen von Fußsoldaten in Galauniform, die hinter den Standarten aller Einheiten des kaiserlichen Heers versammelt waren, füllten den ganzen Platz. Hunderte schwarzroter Banner wehten – mit goldfarbenen Gebeten

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