Schattenfall
befürchtete, ihm nicht genug Macht verschaffte, seinen Onkel zu stürzen, würde Xerius, der schon Verschwörung witterte, wenn irgendwo zwei seiner Sklaven die Köpfe zusammensteckten, dennoch annehmen, er wäre mächtig genug dazu. Unter normalen Umständen hätte Conphas mit Ultimatum und Belagerungstürmen nach Momemn zurückkehren sollen.
Aber die Umstände waren nicht normal. Die Schlacht am Kiyuth war nur der erste Schritt eines größeren Plans gewesen, Maithanet den Heiligen Krieg abzuluchsen, und der Heilige Krieg war der Schlüssel zum großen Traum seines Onkels – dem Traum von der Wiederherstellung des Reichs. Wenn Kian vernichtet und die alten Provinzen zurückerobert würden, ginge Ikurei Xerius III. nicht als Kriegerkaiser wie Xatantius oder Triamus in die Geschichtsbücher ein, sondern – wie Caphrianas der Jüngere – als Staatskünstler auf dem Kaiserthron. Das war sein Traum. Und solange Xerius ihn träumte, würde er alles in seiner Macht Stehende tun, seinem gottähnlichen Neffen entgegenzukommen. Durch seinen Sieg über die Scylvendi war Conphas weit eher nützlich als gefährlich geworden.
Wegen des Heiligen Kriegs. Letztlich hing alles mit diesem verflixten Krieg zusammen.
Mit jedem Schritt, den Conphas tat, schob sich die umarmende Kulisse des Forums gebieterischer vor den Himmel. Nun, da er wusste, was sein Onkel da trug, wirkte der noch lächerlicher. Obwohl das geschminkte Gesicht des Xerius aus der Entfernung gelassen schien, sah Conphas (oder glaubte doch zu sehen), dass seine Hände sich kurz in sein purpurnes Gewand krallten. Ein Zeichen von Nervosität? Der Oberbefehlshaber hätte beinahe gelacht. Er fand kaum etwas belustigender als den Kummer und die Sorgen seines Onkels. Schließlich waren Würmer dazu da, sich zu winden.
Er hatte seinen Onkel bereits als Kind gehasst. Doch trotz all seiner Verachtung hatte er schon vor langer Zeit gelernt, ihn nicht zu unterschätzen. Sein Onkel ähnelte jener seltenen Sorte von Betrunkenen, die Tag für Tag lallend herumtorkeln, bei Gefahr aber plötzlich hellwach sind.
Ob er jetzt Gefahr spürte? Mit einem Mal schien Ikurei Xerius III. ihm ein großes, unlösbares Rätsel. Was denkst du gerade, Onkel?
Diese Frage juckte ihn so sehr, dass er sie mit der Meinung eines anderen kratzen musste.
»Versuch doch mal zu erraten, Martemus«, sagte er leise, »was mein Onkel gerade denkt.«
Martemus war kurz angebunden. Vielleicht schien es ihm unschicklich, sich bei diesem Anlass zu unterhalten. »Ihr kennt ihn weit besser als ich, Herr Oberbefehlshaber.«
»Eine überaus diplomatische Antwort.« Conphas hielt in der Vorahnung inne, der Grund für Martemus’ Beklemmung könnte viel tiefer liegen als darin, gleich zum ersten Mal vor seinem Kaiser zu stehen. Denn wann hätte sein General je Ehrfurcht vor Vorgesetzten gehabt?
»Sollte ich auf der Hut sein, Martemus?«
Die Augen des Generals verweilten gebannt auf dem Kaiser in der Ferne. Er blinzelte nicht einmal.
»Ja, Ihr solltet auf der Hut sein.«
Ohne sich darum zu scheren, was die Zuschauer ringsum denken mochten, musterte Conphas das Profil seines Generals und bemerkte einmal mehr seine klassische Kinnpartie und die gebrochene Nase. »Und weshalb?«
Martemus ging eine Zeitlang schweigend weiter. Für einen verzweifelten Moment hätte Conphas ihn am liebsten geohrfeigt. Warum so lange über Antworten grübeln, wenn die Entscheidung stets gleich war? Martemus sprach immer die Wahrheit!
»Ich weiß nur eines«, gab der General schließlich zurück. »Wenn ich der Kaiser wäre, würde ich Euch fürchten.«
Conphas schnaubte leise. »Und was der Kaiser fürchtet, tötet er. Offenbar habt selbst ihr Provinzler ein Gespür für sein wahres Format. Und doch fürchtet mein Onkel mich, seit ich ihn erstmals beim Benjuka geschlagen habe. Da war ich acht. Wenn meine Großmutter nicht gewesen wäre, hätte er mich ersticken lassen und behauptet, ich hätte mich unglücklich an einer Weintraube verschluckt.«
»Ich verstehe nicht…«
»Mein Onkel fürchtet alles und jeden, Martemus. Er kennt die Geschichte unserer Dynastie zu gut, um das nicht zu tun. Deshalb stacheln ihn nur neue Ängste zum Mord an. Alte Bedrohungen wie mich bemerkt er kaum.«
Der General zuckte kaum wahrnehmbar die Achseln. »Aber hat er nicht…« Er verstummte, als wäre er über seine eigene Frechheit erschrocken.
»… meinen Vater hinrichten lassen? Natürlich! Aber er hat ihn nicht von Anfang an gefürchtet,
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