Schattenfehde - Verschwoerung gegen Hessen und Kurmainz
Und er war stark. Seine Gabe war mächtig. Es musste so geschehen. Wer sich dem Orden verschreibt, hat sich ihm und meinem Willen unterzuordnen, denn ich bin der Prior der Brüder des Schwans!“
„Ist der dunkle Reiter auch einer des Ordens?“
„Nymandus? Nein, er ist nur mein Knecht und Werkzeug. Er kennt weder Furcht noch Gnade und ist mir durch einen Schwur treu ergeben.“
„Wie ist sein richtiger Name?“
„Welche Rolle spielt das? Er ist der Sohn eines deutschen Adligen und ein tapferer Kämpfer. Wenn er seinen Namen preisgeben wollte, würde er sich wohl kaum Nymandus nennen, nicht wahr?“
Sarenno di San Pietro erhob sich. „Genug für heute. Ich werde in einigen Tagen wiederkommen und dir ein wenig über die Möglichkeiten der Gabe berichten, die in dir wohnt. Wache!“
Berthold saß nachdenklich am Tisch. Zu gern hätte er schon jetzt erfahren, worum Sarenno di San Pietro ein solches Geheimnis machte. Welches Wissen hatte er ihm voraus?
Beim Hinausgehen wandte sich der Legat nochmals um. „Denk gut nach, Berthold. Der Anfang ist gemacht. Lass dich auf das Unvermeidliche ein. Die Gabe strömt in dir. Lerne sie zu nutzen für die richtige Sache – oder verschwinde für immer von dieser Welt.“
Dann fiel die Tür zu und wurde verriegelt.
So vergingen die nächsten fünf Tage in Einsamkeit und Ungewissheit für Berthold. Unterbrochen wurden die scheinbar unendlich langen Stunden nur durch die Mahlzeiten, die ihm morgens und abends gebracht wurden. In den Nächten plagten Berthold unruhige Träume voller seltsamer Bilder und Gedankenfetzen. Doch er konnte zunächst nichts greifen, nichts wirklich erkennen.
In der sechsten Nacht seiner Gefangenschaft fand sich Berthold im Traum auf den Zinnen von Burg Maus wieder. Allein. Der Vollmond tauchte das Feld vor der Burg in ein kaltes, blendendes Licht, in dem die Silhouetten der Sträucher wie bösartige Krallen erschienen. Plötzlich erhob sich ein markerschütterndes Kampfgeschrei: Ein roter Rabe und ein Bär waren aus dem Nichts auf dem Feld vor der Burg aufgetaucht und schlugen wie von Sinnen mit Schwertern aufeinander ein. Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Aus den nahen Wäldern brach ein schwarzer Hengst hervor, fuhr zwischen die Kämpfenden und schlug mit seinen Hufen nach dem Bär. Dann trug er den Raben mit sich aus der Reichweite des Bären. Doch dieser schleuderte wütend sein Schwert nach dem Hengst. Als dieser der Waffe auswich, zischte sie wirbelnd an ihm vorbei und bohrte sich in die Brust des Raben. Der Vogel schrie auf und sank tödlich getroffen zu Boden. Dann war es still.
Mit einem Mal verschwanden alle drei Wesen in einem grünen Lichtpunkt und ein Schwan schwebte auf Berthold zu. „Ich habe etwas für Dich“, sagte er und ließ ein Buch und eine Feder fallen. Berthold versuchte verzweifelt, beides zu greifen, doch das Buch entglitt seinen Händen und stürzte ins dunkle Nichts vor den Burgmauern. Nur die Feder behielt er in den Händen. Der Schwan schlug mit den Flügeln und rief: „Steh auf! Geh deinen Weg! Steh auf! Steh auf!“
„Steh auf! Los, steh auf, bevor ich dir Beine mache!“
Ein heftiger Tritt traf Berthold in die Rippen. Einer von Sarenno di San Pietros Männern stand vor ihm und brüllte ihn an: „Monsignore di San Pietro will dich sehen!“
Am Tag des heiligen Nikolaus wurden die Wachen der Burg Maus aufgeschreckt und gaben Alarm. Vor den Toren der Burg zog eine Streitmacht von wenigstens einhundert Berittenen auf. An ihrer Spitze ritten Wenzel von Sicking und Petz mit entschlossenen Gesichtern. Da die Belagerer nicht den Anschein machten, die Burg sofort zu stürmen, sandte der Hauptmann einen Unterhändler vor die Tore, um wenigstens zu erfahren, aus welchem Grund die Belagerung stattfand, denn er konnte sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen. War nicht längst der Friede zwischen Nassau und Ysenburg vereinbart?
Der Unterhändler kehrte unversehrt und schnell zurück und teilte dem Hauptmann mit, um wen es sich bei den Angreifern handelte, und dass sie nur hergekommen seien, um den Gefangenen Berthold Graychen zu befreien. Sollten sie diesen ausgehändigt bekommen, so würden sie sofort wieder kehrtmachen und weder der Burg noch der Besatzung Schaden zufügen. Ein weiteres Interesse bestünde nicht, das habe man ihm glaubhaft versichert.
Der Hauptmann, ein Mann von fast fünfzig Jahren und mit viel Erfahrung, wunderte sich. Was wollte nur alle Welt von diesem Habenichts? Zuerst
Weitere Kostenlose Bücher