Schattenfehde - Verschwoerung gegen Hessen und Kurmainz
konnte er sehen, was seiner Familie so furchtbare Angst einzuflößen schien: Von links kam ein Reiter auf einem pechschwarzen Pferd herangeritten. Der Umhang des Reiters schlug flatternd im Wind. Es war das einzige Geräusch, was Berthold wahrnehmen konnte. Der Reiter sprengte, unbeeindruckt von den Naturgewalten, über den tosenden Fluss, als wäre dieser eine sanfte Weide. Berthold spürte es genau – es war derselbe dunkle Reiter, den er schon einmal gesehen hatte. Jetzt hörte er auch dessen Stimme, die sich langsam und immer lauter werdend ausbreitete und alles ausfüllte, bis schließlich nur noch sie in Bertholds Kopf dröhnte. Und immer wiederholte der Reiter nur diesen einen Satz: „Vergehen wird, was vor mir steht, steh’n bleibt nur, was nie vergeht!“
Immer und immer wieder rief er diese Worte, während er mit gezogenem Schwert auf Bertholds Vater zugaloppierte und diesem mit einem Schlag den Kopf abhieb. Der getroffene Körper sackte auf dem Sandhügel in sich zusammen. Der Kopf, der vom Schwerthieb ins Wasser geschleudert wurde, trieb, sich um seine eigene Achse drehend, noch einige Meter im grünen, schlammigen Fluss, bevor er versank. Kaum waren die Worte des Reiters verklungen, kamen plötzlich alle anderen Geräusche so unerwartet zurück, das Bertholds Herz krampfte. Seine Mutter schrie gellend gegen den Sturm und das laute Getöse der Wassermassen an, Robert weinte und ein Rabe zog schaurig krächzend vor dem blutroten Himmel vorbei. Der Schattenreiter zerrte Margarethe und Robert auf sein Pferd und band sie in Windeseile mit Ketten. Er schaute herausfordernd zu Berthold herüber und begann dröhnend zu lachen. Dann rief er mit hohler Stimme: „Berthold! Berthold! Berthold! Berthold …“
Plötzlich erhielt Berthold einen Schlag ins Gesicht. Er kam zu sich und bemerkte, dass er auf dem Boden der Küche lag. Die besorgten und erschreckten Gesichter von Irmgard, Walther und Petz beugten sich über ihn.
„Ich hole den Medicus“, sagte Walther.
„Nein, Meister Köppler“, entgegnete Petz sabbernd, „er braucht keinen Medicus. Ihm wird es bald wieder besser gehen. Er braucht keine Hilfe, zumindest nicht diese, nicht wahr, Berthold?“
Als es an der Tür klopfte, herrschte Wolfram Etzelroth seinen Sohn an: „Los, mach auf!“
Wortlos stand Hermann auf und ging folgsam und gesenkten Hauptes zur Tür. Ihm brummte noch immer der Schädel von den Schlägen seines Vaters, der auf Umwegen von dem peinlichen Vorfall in Grubers Schankwirtschaft erfahren hatte. Als er die Tür öffnete, prallte Hermann zurück. Vor ihm stand die riesige Gestalt eines Mannes, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Aus dem schmalen Schlitz, den ein bis über die Nase gebundenes Tuch und der Helm freiließen, funkelten ihn zwei zornige Augen an. Ohne Hermann eines weiteren Blickes zu würdigen, schob ihn der Fremde mit solcher Kraft und Leichtigkeit zur Seite, als wäre er nur ein Bündel Reisig. Hermann taumelte und hatte Mühe, nicht hinzufallen. Breitbeinig blieb der Fremde mitten im Raum stehen.
„Setzt Euch doch, Herr Ulrich!“, versuchte der Vogt die Situation zu entspannen.
Der so Angesprochene ignorierte das Angebot jedoch und sagte mit tiefer und nur mühsam beherrschter Stimme: „Was denkt Ihr, wer ich bin, dass ich mich wie ein Dieb des Nachts davonschleichen und stundenlang reiten muss, um einen Untergebenen, der seiner Aufgabe anscheinend nicht gewachsen ist, selbst zu instruieren und mich über das Fortkommen unserer Sache zu informieren? Mir wurde berichtet, was dieser Taugenichts, den Ihr Euren Sohn nennt, hier für einen prahlerischen Auftritt abgehalten hat und dass …“
„Ich denke nicht, dass dieser Ton angemessen ist, selbst wenn ich ein wenig über die Stränge geschlagen haben …“, fiel ihm Hermann ins Wort.
Doch noch ehe er den Satz beenden konnte, war der hünenhafte Fremde mit einem schnellen Schritt bei ihm und schlug ihn mit der Faust direkt ins Gesicht. Mit einem knirschenden Geräusch brach Hermanns Nasenbein, während er durch die Wucht des Schlages in die Ecke des Raumes geschleudert wurde. Nur einen Augenblick später spürte er auch schon eine blanke Klinge an seinem Hals und der Fremde zischte mit wutgepresster Stimme: „Du Missgeburt, du Hundsfott und erbärmliches Gewürm, du wagst es, mir ins Wort zu fallen? Noch einen Laut und ich trenne deinen Kopf vom Rest deines versoffenen Körpers und werfe deine stinkenden Überreste eigenhändig in den lausigen
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