Schattenfehde - Verschwoerung gegen Hessen und Kurmainz
weil du etwas nachplapperst, was in Büchern steht. Es heißt doch, du sollst dir kein Bildnis machen von Gott. Aber alle, die die Bibel abschreiben, tun das, weil sie Worte ersetzen, beugen und tauschen. Und sie machen Fehler. Glaubst du, dass die Bibel noch das reine Wort Gottes ist, nachdem sie über tausend Jahre lang erzählt, abgeschrieben und kopiert wurde. Von Menschen? Ich sage dir, dass ich Bibeln kenne, die über fünf Jahrhunderte alt sind. Ich habe sie selbst gesehen. Wenn ich mir heute das heilige Buch nehme, dann stehen dort andere Dinge als noch vor hunderten von Jahren.“
Augusteins Augen füllten sich mit Tränen. Berthold fasste Petz am Arm. Er hatte Mitleid mit Augustein und war selbst von Petz’ harten Worten berührt. „Lass es gut sein, Petz.“
Petz nickte Berthold zu und fügte abschließend hinzu: „Augustein, mein Freund, höre mir zu. Du hast viel für uns gewagt und mehr gegeben als viele, die ich kannte und kenne. Ich will dir nichts Böses. Ich will nur, dass du begreifst, dass es gut ist, wenn du glaubst. Dass es gut ist, wenn du einen guten Weg suchst. Aber begreife auch, dass Gott vielleicht nicht so existiert, wie ihn die Kirche sieht und den Armen und Dummen darstellt. Du selbst musst ihn suchen. Das Bild Gottes, das sie dir einzureden versuchen, wurde von Menschen gemacht. Der Papst macht es, die Bischöfe machen es und selbst ein armer Dorfpfaffe macht es. Gott wird dich sicher nicht verdammen, wenn du am Sonntag ein Stück Schinken isst. Aber er wird dir nicht verzeihen, wenn du den schlechten Weg wählst. Lebe Gottes reine Lehre, aber betrachte sie mit Bedacht und sieh die Essenz. Die Essenz ist die Liebe und das Vergängliche, die Güte und die Tugend, die Macht des Handelns und die Barmherzigkeit, aber auch die Konsequenz und die Härte, das Wahre und Gute zu verteidigen. Erkenne die Wahrheit! Nur so findest du deinen Weg und dein Seelenheil.“
Augustein liefen die Tränen aus den Augen. Er stand auf, hastete zur Hintertür und lief in den Garten. Berthold sah Petz zweifelnd an und fragte: „Hast du endlich deinen Inquisitor gefunden, mit dem du disputieren konntest? War das nicht zu viel auf einmal?“
„Na ja, bei einem Inquisitor wären Hopfen und Malz bereits verloren, bei Augustein habe ich noch Hoffnung. Und ja, es war sehr viel – aber nicht zu viel, das hätte ich sonst nicht gewagt. Glaube es oder lass es, aber mir liegt viel an diesem Kerl. Er ist aufrecht und gut und ich werde ihm bis an mein Lebensende dankbar sein für seinen Mut und sein großes Herz. Deshalb, und nur deshalb, habe ich ihm meine Meinung gesagt. Es ist nun mal so: Es ist Tag oder Nacht, Schwarz oder Weiß, Gold oder Scheiße, Berthold. Willst du das Reine, dann gibt es nichts dazwischen. Es ist die Pflicht eines jeden, so viel zu erkennen wie er kann und nicht so viel wie er will. Ich habe Augustein vielleicht an seine Grenze geführt, aber nicht einen Fußbreit darüber hinaus. Sei mir nicht böse und erinnere dich an deine ersten Erkenntnisse, die ebenfalls sehr schmerzhaft und verwirrend waren.“
„Ja, aber ich hatte die Wahl!“
Petz grinste Berthold an. „Meinst du wirklich? Geh zu ihm, er braucht dich jetzt. Hilf ihm, seinen Weg zu beschreiten. Gib weiter, was du weißt und was er begreifen kann. Das Schicksal hat ihn mit uns zusammengeführt und ihn genötigt, alles aufzugeben.“
Berthold wusste, dass Petz recht hatte. Er erhob sich und folgte Augustein in den kleinen verschneiten Garten. Er fand ihn dort auf einer grob gehauenen Bank sitzend, wie er mit verheulten Augen die tanzenden Schneeflocken anstarrte, die spärlich aber unaufhörlich seit der vergangenen Nacht vom Himmel fielen. Berthold wischte mit der Hand den Schnee von der Bank und setzte sich zu Augustein. Für einige Minuten sprach er kein Wort, dann fragte er zaghaft: „Wie fühlst du dich?“
Augustein drehte sich zu Berthold um. „Was meinst du, wie ich mich fühle? Ich fühle mich verloren.“
„Augustein, du hast so viel Kraft und Mut. Wer außer dir hätte es gewagt, zu tun, was du getan hast? Alles, was Petz dir sagen wollte, ist, dass du das alles nicht allein für uns getan und auch Gott nicht verraten hast. Vielmehr hast du es für Gott und vor allem für dich selbst getan.“
Augustein senkte seinen Blick. Leise flüsterte er: „Was ihr denkt, ist ketzerisch und blasphemisch.“
„Was die Lehre der Kirche angeht, ja. Aber es richtet sich nicht gegen Gott selbst. Ich bin auch im
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