Schattenfeuer
unmittelbar nach dem Unfall gesehen, und daher bin ich ganz sicher, daß bei der Diagnose kein Fehler gemacht wurde.«
Kordell und Tescanet seufzten zufrieden.
»Dann können wir diese Hypothese wohl fallenlassen«,
sagte Verdad und zuckte mit den Schultern. Er führte Ra-
chael an den drei zugedeckten Leichen vorbei und blieb an einer leeren Ablaufmulde stehen, in der ein zerknülltes Tuch lag. Auf dem kleinen Bündel sah die junge Frau einen dünnen Plastikanhänger.
»Mehr ist uns nicht geblieben«, sagte er. »Wir haben nur den Karren, auf dem der Leichnam ruhte, und das ID-Schild, das an Dr. Lebens Fuß befestigt war.« Der Detektiv stand neben ihr und musterte sie mit ausdruckslosem Ge sicht. »Ich frage Sie: Warum sollte sich ein Leichenräuber die Zeit nehmen, den Namensanhänger vom Zeh des Toten zu entfernen?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Rachael.
»Der Dieb hat bestimmt befürchtet, entdeckt zu werden. Er hatte es eilig. Und die Entfernung des Schildes kostete ihn wertvolle Sekunden.«
»Eine verrückte Sache«, sagte Rachael leise.
»Ja, in der Tat«, bestätigte Verdad.
Die junge Frau starrte auf das blutbefleckte Tuch und stellte sich vor, wie es den kalten und nackten Leichnam ihres Mannes eingehüllt hatte. Sie begann erneut zu zittern; »Genug damit.« Benny legte ihr den Arm um die Schultern. »Komm, ich bringe dich raus.«
Everett Kordell und Ronald Tescanet begleiteten Rachael und Benny zum Lift in der Tiefgarage und betonten immer wieder, weder das Leichenschauhaus noch die Stadtverwaltung treffe die geringste Schuld im Hinblick auf das Verschwinden der Leiche. Zwar versicherte ihnen Rachael, es läge ihr nichts an einer Auseinandersetzung vor Gericht, doch die beiden so unterschiedlichen Männer blieben skeptisch. Es gab so viele Dinge, über die die junge Frau nachdenken mußte, daß sie nicht die Kraft aufbringen konnte, ihren Zweifel auszuräumen. Sie wollte einfach nur fort und die wichtigeren Aufgaben in Angriff nehmen, die auf sie warteten.
Als sich die Lifttür schloß und Benny und sie von dem hageren Pathologen und dem dicken Repräsentanten der Stadt
trennte, sagte Shadway: »Ich glaube, ich an deiner Stelle würde sie verklagen.«
»Besprechungen mit Rechtsanwälten, Vernehmungen, Termine vor Gericht, das Entwickeln von entsprechenden Strategien...« Rachael schüttelte den Kopf. »Eine unangenehme und sehr zeitaufwendige Angelegenheit -für beide Seiten.« Sie öffnete ihre Handtasche, als sich der Aufzug in Bewegung setzte.
»Verdad ist ein ziemlich kaltschnäuziger Mistkerl, was?« meinte Benny. »Ich schätze, er macht bloß seine Arbeit.« Rachael holte ihre 32er hervor. Auf der Anzeigefläche leuchtete die 2 auf. Der rote Mercedes parkte eine Etage weiter oben.
»Geh von der Tür fort, Benny«, sagte Rachael.
»Was?« Verblüfft starrte er auf ihre Pistole. »He, zum Teufel auch - woher hast du die Knarre?«
»Hab sie von zu Hause mitgebracht.«
»Warum?«
»Bitte tritt zurück, Benny, rasch«, drängte Rachael und zielte auf die Tür.
Shadway zwinkerte verwirrt und kam der Aufforderung nach. »Was soll das? Du willst doch nicht etwa jemanden umlegen. ..«
Rachaels Herz klopfte laut und heftig, und das wummernde Pochen in ihrer Brust schien Bennys Stimme zu übertönen.
Sie erreichten den dritten Stock.
Es machte leise Ping!, und die Zahl 3 leuchtete auf. Der Lift hielt mit einem sanften Ruck an.
»Antworte mir, Rachael! Was ist mit dir?«
Die junge Frau schwieg. Sie hatte sich die Waffe kurz nach der Trennung von Eric besorgt, um sich sicherer zu fühlen. Als sich die Tür vor ihr öffnete, versuchte sie, sich an den Rat des Verkäufers zu erinnern: den Abzug nicht mit einem Ruck durchziehen, sondern ganz langsam betätigen, um das Ziel nicht zu verfehlen.
Doch es wartete niemand auf sie, zumindest nicht vor dem Aufzug. Rachaels Blick fiel auf einen grauen Betonboden, auf nackte Wände und Säulen, die ebenso aussahen wie die in der untersten Etage. Und auch hier herrschte eine gespenstisch anmutende Stille.
Benny folgte ihr aus dem Lift. »Wovor hast du Angst, Ra chael?« fragte er.
»Später. Ich möchte so schnell wie möglich fort von hier.«
»Aber...«
»Später.«
Ihre Schritte hallten dumpf in der Halle wider, und Rachael hatte plötzlich das Gefühl, als ginge sie nicht etwa durch eine gewöhnliche Tiefgarage in Santa Ana, sondern die Kammern eines uralten Tempels, beobachtet von einer völlig fremdartigen Wesenheit.
Es war bereits recht
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