Schattenfeuer
sich aus den Augen und rollten über die blassen Wangen. Offenbar litt es noch immer an den Nachwirkungen des Schocks und hatte Mühe, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Es schien sich der Anwesenheit Rachaels und Bens gar nicht voll bewußt zu werden, war nach wie vor in einem ganz persönlichen Alptraum gefangen. Zwar begegnete es Rachaels Blick, schien sie jedoch gar nicht richtig wahrzunehmen.
Bens Begleiterin bückte sich und streckte die Hand aus. »Es ist alles vorbei«, sagte sie. »Mach dir keine Sorgen mehr. Niemand wird dich verletzen. Du kannst jetzt herauskommen. Wir lassen nicht zu, daß dir jemand etwas antut.«
Das Mädchen starrte an Rachael vorbei und schauderte so heftig, als wehe ein eisiger Wind, dessen kalte Böen nur in seinem Innern zischten u nd fauchten.
Rachael reichte Ben ihre Pistole, ging neben der Nackten in die Hocke, sprach beruhigend auf sie ein und berührte sie vorsichtig an den Armen und im Gesicht, strich ihr behutsam das zerzauste blonde Haar glatt. Zuerst zuckte sie immer wieder zusammen, aber Rachaels einfühlsame Fingerspitzen schienen nach und nach den Schreckenskokon zu zerreißen, der die Unbekannte gefangenhielt. Schließlich zwinkerte sie, sah Rachael überrascht an, ließ sich von ihr in die Höhe helfen und aus der Duschkabine führen.
»Wir müssen sie ins Krankenhaus bringen«, sagte Rachael und preßte kurz die Lippen zusammen, als sie die Verletzungen des Mädchens im hellen Licht besser erkennen konnte. An der rechten Hand waren zwei Fingernägel dicht über dem Ansatz abgebrochen und bluteten. Ein Finger schien gebrochen zu sein.
Sie kehrten ins Schlafzimmer zurück, und Rachael nahm mit der Nackten auf der Bettkante Platz, während Ben in den Fächern des Schranks nach passender Kleidung suchte.
Rachael horchte nach verdächtigen Geräuschen im Haus.
Es blieb alles still.
Dennoch lauschte sie weiter.
Außer Strumpfhosen, einer ausgewaschenen Jeans, einer blaukarierten Hose und einem Paar Turnschuhe fand Ben auch noch einige illegale Drogen. Die unterste Schublade des Nachtschränkchens enthielt fünfzig oder sechzig handgerollte Joints, einen kleinen Plastikbeutel mit bunten Tabletten und eine Tüte mit weißem Pulver. »Wahrscheinlich Kokain«, sagte er.
Eric hatte keine Drogen eingenommen, sie verabscheut. Seiner Ansicht nach waren sie nur etwas für die Schwachen, für die Verlierer, die sich im Leben nicht behaupten konnten. Doch diese Einstellung hatte ihn ganz offensichtlich nicht daran gehindert, seine Mätressen mit entsprechendem Nachschub zu versorgen, um sicherzustellen, daß sie willig blieben und sich seinen Wünschen fügten. Rachael verachtete ihn mehr als jemals zuvor.
Als sie das junge Mädchen anzog, entdeckte Ben eine Handtasche, öffnete sie und holte den Ausweis hervor. »Sie heißt Sarah Kiel«, sagte er. »Und sie ist erst vor zwei Monaten sechzehn geworden. Offenbar kommt sie aus dem Westen, von Coffeyville, Kansas.«
Noch eine Durchgebrannte, dachte Rachael. Vielleicht des halb ausgerissen, weil sie das Familienleben zu Hause nicht mehr ertrug. Oder möglicherweise eine Aufsässige, die nichts von Disziplin hielt und sich der Illusion hingab, glücklich zu werden, wenn sie keine Regeln mehr zu beachten brauchte.
Warum mußte sie ausgerechnet an Eric geraten? dachte Ra chael voller Mitleid.
»Hilf mir bitte, sie zum Wagen zu bringen«, wandte sie sich an Ben, nachdem sie das Mädchen angezogen hatte.
Sie mußten Sarah festhalten, denn sie wankte, und mehrmals knickten ihre Knie ein.
Die Nacht duftete nach Jasmin, und eine leichte Brise wehte, bewegte die Büsche und Sträucher, verwandelte sie in unstete Schemen, die raschelten und sich langsam hin und her neigten. Rachael sah sich nervös um.
Sie setzten Sarah in den Wagen und schnallten sie an. Das junge Mädchen lehnte sich zurück, ließ wortlos den Kopf hängen. Der 560 SL bot nicht besonders viel Platz für eine dritte Person, und aufgrund der Statur Bens beschloß Rachael, ihm das Steuer zu überlassen und im engen Fond Platz zu nehmen.
Als der Mercedes von der Zufahrt rollte, näherte sich ein anderer Wagen. Für Sekunden spiegelte sich das Scheinwerferlicht auf dem roten Lack wider. Ben bog auf die Straße und das andere Fahrzeug beschleunigte jäh, raste direkt auf sie zu.
Rachaels Herz hämmerte, und atemlos brachte sie hervor: »Mein Gott, sie sind es!«
Der Wagen kam mit hoher Geschwindigkeit heran, und Ben verlor keine Zeit, reagierte sofort. Er riß
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