Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
sprang er auf, warf sich den Bogen über und eilte den Wehrgang entlang zum Ostturm und an diesem vorbei über den Südwall, auf dem etwa ein Dutzend Bretonen Wache schob. Es war nicht zu übersehen, dass etwas nicht in Ordnung war. Viele der Männer versteckten sich hinter der Deckung der Zinnen oder waren unter die Brustwehr gesunken und hielten sich mit gequälten Gesichtern die Ohren zu. Ein paar standen noch immer wachsam und spähten nach draußen, doch auch sie wirkten verstört und eingeschüchtert.
Padern kam ihm mit großen Schritten entgegengeeilt, eine Hand an der Schwertscheide, um sie am Schwingen zu hindern, die andere am Geländer des Wehrgangs. Der schlaksige Mann schien zu taumeln, als ob er seine langen Arme und Beine nicht mehr ganz unter Kontrolle hätte.
»Was zur Hölle ist hier los?«, rief Derrien. Er erschrak, als er sich selbst kaum noch hören konnte. Das Pfeifen war noch einmal lauter geworden und begann, Kopfschmerzen zu verursachen.
Hinter Karanteq brach ein weiterer Bretone zusammen und wälzte sich schreiend auf dem Wehrgang. »Wir wissen nicht, wases ist!«, schrie Padern, die Augen weit aufgerissen und knapp vor der Panik. »Was sollen wir tun? Was sollen wir bloß tun?«
»Bleib ruhig! Bei der Morrigan, bleib ruhig, oder wir kriegen hier eine Massenpanik! Reiß dich zusammen!«
Doch was
war
zu tun? Das Pfeifen wurde weiterhin lauter. Mittlerweile hatte es begonnen, auch die Männer auf den anderen Wällen zu beeinflussen. Zudem hatte sich die Situation auf dem Nordwall weiter verschlechtert: Den Nain war es gelungen, Ryan vom Wehrgang zu stoßen, der Ire lag regungslos im Schnee des Hofs, während Murdoch langsam zum Westturm zurückgedrängt wurde. Noch immer quollen frische Nain über die Leiter auf den Wehrgang.
»ORGETORIX!«, schrie Derrien, doch es war zwecklos. DieMänner auf dem Ostwall waren durch das Pfeifen abgelenkt und größtenteils bereits außer Gefecht gesetzt, so dass auch dort wieder erste Nain über die Brustwehr steigen konnten. Selbst wenn Orgetorix ihn hörte, hatte der Helvetier nicht die Zeit, Murdoch zur Seite zu eilen.
Schweiß brach auf Derriens Stirn aus, purer Angstschweiß. Er verlor die Wälle, und wenn ihm nicht
bald
etwas einfiel, würde es zu spät sein. Das Schicksal Trollstigens stand auf Messers Schneide, und das Pfeifen irritierte Derrien so sehr, dass er kaum noch denken konnte. Panik kroch seinen Hals herauf und trocknete seinen Mund aus.
Padern klopfte ihm hart gegen die Schulter und deutete mit einem zitternden Finger hinüber zu Ryan, der sich mittlerweile wieder aufgerappelt hatte. Derrien sah, dass der Ire mit den Händen hektisch Symbole deutete.
»Was meint er?«, rief Derrien. Sein Kopf fühlte sich an, als ob er jeden Moment platzen würde, seine Gedanken waren zäh wie Honig.
Die Handzeichen des Fuchses verschwammen vor seinen Augen, unerkennbar auf die dreißig oder vierzig Meter Entfernung über den Burghof hinweg. Nur eines erkannte er, die Hand mit dem ausgestreckten Zeige- und Kleinfinger war eines der schärfsten Warnsignale in der Zeichensprache der Waldläufer und bedeutete … Derriens Mund klappte auf. Dann schrie er entsetzt: »Phantom! Morrigan und Dagda, PHANTOM!«
Hastig sah er sich um, doch er konnte nichts erkennen, weder am Torturm noch im Torbogen darunter, noch irgendwo unter den Wehrgängen –
Padern klopfte ihm hart gegen die Schulter und deutete erneut zu Ryan, der weitere Symbole deutete.
Derrien zwinkerte Tränen aus seinen Augen. »Kein … Körper …«, las er mit, laut, so unkonzentriert war er inzwischen. Er schüttelte den Kopf.
Ryan schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Erneut gestikulierte er heftig. »Geist … kein … Körper«, las Derrien erneutmit. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Aufgeregt rief er: »Ein nicht manifestierter Geist! Padern, er ist nicht manifestiert! Kannst du ihn sehen?«
Der Kundschafter-Druide zwinkerte mehrmals, als er die Kraft der Magiewahrnehmung aktivierte. Derrien hastete derweil weiter über den Wehrgang in Richtung des Torturms, wo er Karanteq vermutete. Schnell erklärte er ihm, was Ryan ihm mitgeteilt hatte.
»DORT!«, schrie Padern hinter ihm. »SEHT! DORT!« Sein ausgestreckter Finger deutete in die Luft über dem Burghof, möglicherweise auch auf den Westturm dahinter.
Derrien konnte nichts sehen. »BRING ES UM!«, schrie er zurück.
»ICH HABE KEINEN PFEIL!«
Derrien warf einen Blick auf die Pfeiltasche an seiner
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