Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Lagerfeuer, an dem sich Gwezhenneg während der Nacht gewärmt hatte. Der Stoff fühlte sich fest und stabil an, gar nicht so, als wenn er schon fünfzig Jahre in irgendeiner Wolfshöhle überdauert hatte. Vielleicht stammte er von einem der Kelten, die im Laufe der Jahre versucht hatten, den Germanenwald zu betreten, und von den Wölfen getötet worden waren.
Als sie weitermarschierten, schien der gesamte Flüchtlingszug von einer neuen Energie erfüllt. Die drückende Schwere, die Gwezhennegs vermeintlicher Tod über sie alle gebracht hatte, war von ihnen genommen. Seog war es, als ob sie nun deutlich besser vorankämen.
Das Tal knickte schließlich nach Süden ab und wurde langsam breiter. Die Wolfsspur hielt sich dabei ganz im Osten am Fuße der Berge, wo der Weg nun etwas deutlicher anstieg und über einen flachen, dicht mit Fichten bestandenen Sattel führte. Sieüberquerten ihn am späten Vormittag und stiegen hinab in ein weiteres bewaldetes Tal. Mit seinen kahlen Eichen und Birken wirkte die Landschaft karg und trist. Der Untergrund war feucht, teilweise sumpfig, dazu kamen mehrere Bäche, die sie umständlich überqueren mussten.
Den breitesten dieser Bäche erreichten sie an einer Stelle, an der er sehr malerisch in einer Serie kleiner Wasserfälle eine Stufe im Talboden überwand. Außen herum befand sich eine kleine, von winterkargem Gestrüpp überwucherte Lichtung. Doch zu Seogs Überraschung schwenkte die Wolfsfährte direkt am Waldrand scharf nach rechts. Im Boden steckte ein moosbewachsener Pfahl, an den mit Efeuranken ein Hirschgeweih gebunden war.
»Schutzzauber oder Begrenzung für irgendetwas«, vermutete Seog. »Vielleicht ist das eine der vielen Pforten, die es im Germanenwald geben soll.«
Gwezhenneg begutachtete den Pfahl mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ich frage mich, wer ihn hier aufgestellt hat.«
»Na, die Germanen wahrscheinlich! Oder was meinst du?«
Der bretonische Hauptmann zog sein Kurzschwert und deutete damit auf einen Knoten in der Efeuranke, wo der holzige Trieb geknickt war und Fasern zum Vorschein kamen. »Seht Ihr hier? Diese Ranken sind frisch, gar nicht vertrocknet. Ich schätze, dass das erst diese Woche gemacht wurde.«
Seog spürte Schweiß auf seine Stirn treten, als ihn die Scham überkam. Hätte er das auch sehen müssen? Jetzt, wo es Gwezhenneg erwähnt hatte, wirkte es so offensichtlich! Natürlich, der Mann hatte Recht, irgendein Mensch musste innerhalb der letzten Tage hier gewesen sein, um diesen Pfahl aufzustellen. Hatte der Wald etwa noch immer menschliche Bewohner? Er brummte unwirsch, um sich die Verunsicherung nicht anmerken zu lassen, und ging nachdenklich weiter.
Die Wolfsspur schickte sie ein Stück weit flussabwärts über den Bach, wo sie ihren Marsch nach Süden weiter fortsetzten. Der Weg stieg bald wieder an und führte hinauf in ein Seitental. Neue Bergflanken erhoben sich zu ihrer Linken, während zu ihrerRechten schroffe, aber weitaus weniger hohe Felsformationen auftauchten. Mittags lagerten sie an einem teilweise vereisten Bergsee, dem Kvanndalsvatnet, wie ihn Gautrek benannte, bevor sie wieder aufbrachen, um einen weiteren Talsattel zu überqueren. Anschließend ging es wieder langsam nach unten, an einem weiteren unbenannten Bach entlang in das nächste Tal. Im Westen erkannten sie hier und da die graublaue Wasserfläche des Storfjordes. Er war seit dem Letzten Germanenkrieg unbesiedelt geblieben, weshalb seine Ufer heute zum Niemandsland gehörten.
Eine Weile spielte Seog mit dem Gedanken, den Germanenwald in Richtung des Fjordes zu verlassen. Dort unten wäre es mit Sicherheit deutlich wärmer. Doch er schlug sich den Gedanken sogleich wieder aus dem Kopf. Am Fjord würde sie nichts und niemand vor den Nain schützen, und seine Truppe war alles andere als kampfbereit. Abgesehen davon würden die Wölfe eine Abweichung vom Weg wahrscheinlich nicht tolerieren. Nein. Er musste sich dem fügen, was der Wald mit ihnen vorhatte.
RUSHAI (2)
Kêr Bagbeg /Åndalsnes am Romsdalsfjord, Norwegen
Freitag, 05. November 1999
Die Innenwelt
Nach einer stürmischen Nacht versprach der Morgen gutes Reisewetter. Der Himmel war vom Sonnenaufgang noch mit roten Schleiern bezogen. Ganz vereinzelt hatten sich darin watteartige kleine Wolken verfangen, die gemächlich nach Osten trieben. Der Wind war nicht mehr als ein laues Lüftchen und verbreitete den Geruch von Tang und Salz. Der Fjord erstrahlte in dunklem Blau, seine Wellen
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