Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
ist Julius, wie Ihr sicher bereits wisst. Ich nehme an, Ihr seid gekommen, um mit mir zu sprechen.« Sein Deutsch klang in Keelins ungeübten Ohren ein bisschen wie das der beiden Bajuwaren.
Wolfgang nickte. »Ich bin Wolfgang vom Stamme der Sachsen. Meine Gefährtin kennt Ihr vermutlich bereits.«
»Seid mir gegrüßt, Jarl Wolfgang«, meinte Julius, bevor er mit neutraler Miene zu Keelin sah. Dann zuckten seine Augenbrauen plötzlich nach oben, als er sie erkannte. Mehr ließ er von seiner Überraschung nicht nach außen dringen. »Hallo, Keelin«, erklärte er mit gefasster Stimme.
»Hallo, Julius.« Keelin suchte nach einer Emotion in sich, nach Wut oder Ärger, aber da war nichts, da war nur müde Leere. Das Unrecht, das er ihr mit dem Diebstahl angetan hatte, war zu lange her. Zu viel hatte sich in der Zwischenzeit ereignet.
»Wir sind wegen des Buches hier«, begann Wolfgang.
Julius nickte. »Das habe ich bereits erwartet. Wie kann ich Euch weiterhelfen?«
»Warum habt Ihr es gestohlen?«, fragte Keelin.
»Es war der Auftrag meines Herrn.«
»Des Heerführers Cintorix.« Cintorix war ein Eibendruide und teilte somit ihr Baumzeichen. Sie hätte gehofft, dass die Anhänger eines solch bitteren, schicksalsgeplagten Zeichens wenigstens untereinander friedlich und hilfsbereit wären, doch nun zerplatzte auch diese Illusion wie eine Seifenblase. Einmal mehr fühlte sie sich betrogen.
»Ja. Fürst Cintorix aus Allobroga. Der Häuptling unseres Stammes im Ratsgebiet Dùn Roberts.«
Keelin sah auf. »Gab es nicht noch einen alten Häuptling? Helvetius oder so ähnlich?«
Julius nickte. »Häuptling Helveticus ist vor einer Woche gestorben. Cintorix hat seine Nachfolge angetreten.«
Während sie nachdenklich nickte, übernahm Wolfgang das Wort: »Wisst Ihr, was Cintorix mit dem Buch vorhat? Kann er es lesen?«
»Er kann.« Ein Schatten huschte über Julius’ Gesicht. »Ich sage nicht, dass er es sollte, aber er kann.«
»Und was liest er darin?«
»Das wissen die Götter allein. Vermutlich nicht einmal die.Aber ich befürchte, dass es das Buch war, das ihn zu seinem Verrat getrieben hat.«
»Erzählt uns mehr von diesem Verrat!«
Auch davon hatten die Bajuwaren bereits gesprochen, doch Keelin lauschte so angespannt wie Wolfgang, als Julius zur Antwort ansetzte. Er erzählte ihnen von einem Plan des obersten Waldläufers Derrien Schattenfeind, Rushais Armee im Tal des Romsdalsfjordes festzusetzen, von einer waghalsigen Eroberung der Festung Trollstigen, von einem verzweifelten Aushalten gegenüber einer zahlenmäßig hundertfach überlegenen Armee. Als Julius davon berichtete, wie Cintorix’ »Verstärkung« plötzlich Derriens Leuten in den Rücken fiel, ballte sie ihre Hände zu Fäusten.
Keelin war sprachlos. »Dann hat Cintorix also tatsächlich die Waldläufer an die Schatten verraten.« Nicht, dass sie es nicht schon vorher gewusst hätten, doch die Bilder der Schlacht, die Julius ihnen beschrieben hatte, verliehen dem ganzen Vorgang erst Emotionen und Dramatik.
Die Farbe wich langsam aus Wolfgangs Gesicht. Der Jarl mit dem kantigen Gesicht und dem Siebentagebart rang sichtlich mit der Fassung, schluckte mehrmals, rieb sich schließlich mit einem gequälten Stöhnen die Schläfe. »Dann war das alles nur eine Falle für diesen Rushai?«, fragte er schließlich. Seine Stimme klang nach Beerdigung. »Derrien hat die Garnison Trollstigens ans Messer geliefert, um Rushai im Romsdalsfjord festzunageln?«
Gudrun hatte zu dieser Garnison gehört, erinnerte sich Keelin. Sie presste mitleidig die Lippen aufeinander. Auch Brynndrechs Tod war noch immer viel zu gegenwärtig, als dass sie furchtlos daran zurückdenken konnte.
Julius zuckte mit den Schultern. »So sieht es aus.«
Wolfgang schüttelte verzweifelt den Kopf, murmelte etwas, das wie »zur falschen Zeit am falschen Ort« klang. Sein rasches Zwinkern wirkte ganz so, als ob er sich die Tränen verkneifen musste.
»Wie kommt es eigentlich«, erkundigte sie sich, um etwas vom Thema abzulenken, »dass Ihr noch immer hier gefangen seid?Wenn ich es recht verstehe, sollte es Euch doch ein Leichtes sein, Euch hier zu befreien!« Julius hatte ihr damals das Buch nicht einfach gestohlen. Er hatte sie darum gebeten, es ihm zu geben, und sie hatte nur allzu bereitwillig zugestimmt. Er musste irgendwelche sozialen Kräfte besitzen, die ihm das ermöglicht hatten. Eine mächtige Kraft.
»Ein Geist bewacht ihn«, murmelte Wolfgang.
Als Keelin überrascht
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