Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
wird unserem Volk den Untergang bringen.« Als Julius Luft holte, um etwas zu erwidern, unterbrach sie ihn ein weiteres Mal: »Bevor Ihr nun etwas sagt, denkt über meine Worte nach. Denkt darüber nach, und Ihr werdet feststellen, dass ich Recht habe.« Keelin presste die Lippen aufeinander, als der Ärger über seine Tat erneut über sie kam. Langsam nahm sie ihre Hände hoch, nicht um nach ihm zu greifen, sondern um sie seitlich ihres Kopfes um die Gitterstäbe zu legen. Sie schloss ihre Fäuste so fest um das kalte Metall, dass sich ihre Fingernägel schmerzhaft in ihre Handballen gruben. Sie wollte ihm zeigen, wie wütend sie war, ohne ihn zu erschrecken oder gar zu bedrohen. »Und nun«, fuhr sie mit bebender Stimme fort, »wagt es noch einmal, unsere Bitte um Hilfe abzulehnen. Wir bieten Euch die Möglichkeit an, den von Euch verschuldeten Schaden wiedergutzumachen. Wagt es, unser Angebot auszuschlagen.«
Julius starrte sie an, als hätte sie soeben ihre Schattengestalt angenommen. Vielleicht hatte er selbst schon mit den gleichen Vorwürfen gekämpft, hatte versucht, sich etwas vorzulügen, geglaubt, sich mit der Weitergabe seines Wissens von seiner Schuld freigekauft zu haben. Keelin wusste es nicht.
Sie wusste nur, dass sie ihn getroffen hatte.
DERRIEN (5)
Auf der Straße von Molde nach Trondheim, Norwegen
Samstag, 06. November 1999
Die Innenwelt
Als Derrien mit den vier Talenten am Morgen losgefahren war, hatte es in Trondheim bereits geschneit. In Bergen, fünfhundert Kilometer weiter südwestlich, herrschte dagegen altbekanntes, jämmerliches Regenwetter. Die Stadt war für ihr schlechtes Wetter geradezu berüchtigt – und heute machte sie ihrem schlechten Ruf einmal mehr alle Ehre. So betrachtet war es kein Wunder, dass die alliierten Stämme nach dem Letzten Germanenkrieg die Stadt ausgelassen hatten und lieber in benachbarte Regionen gezogen waren. Bergen war zum Zentrum des Niemandslandes geworden, das sich über die Jahre hinweg zur Hochburg der Schatten entwickelt hatte.
Im April, im direkten Anschluss an den Sieg der Ratsarmee in der Schlacht von Espeland, hatte Derrien diese Hochburg angegriffen, gemeinsam mit den Bergener Renegaten, mit denen er sich verbündet hatte. Sie hatten mehrere harte Kämpfe gewonnen und Schatten wie Rattenmenschen empfindliche Verluste zugefügt, doch es war ihnen nicht gelungen, ihre wichtigsten Ziele zu erreichen: Sowohl Ashkaruna als auch Rushai, die beiden wichtigsten Bergener Schattenlords, waren entkommen, und auch dem Geheimnis, woher die Schatten kamen und wie sie sich vermehrten, war Derrien keinen Schritt nähergekommen. Als der Clan der Rattenmenschen zum Gegenangriff blies und sich Renegaten und Druiden zurückziehen mussten, waren all ihre Fortschritte in Bergen dahin.
Und nun musste sich Derrien erneut in diese Schlangengrube wagen. Und wenngleich Rushai vermutlich in Åndalsnes war, befandsich zumindest Ashkaruna hier, derjenige, der den Dämon beherrschte. Ashkaruna, ein Dämon und ein ganzer Haufen Schatten und Rattenmenschen. Es war genug, um ihn nervös zu machen, nervöser, als ihm lieb war. Denn dieses Mal hatte er niemanden, den er vorausschicken konnte, um nach eventuellen Gefahren zu suchen. Alistair hatte seine Aufgabe in Otta, eine mindestens ebenso wichtige Aufgabe wie Derriens, und keines der ihm verbliebenen Talente besaß die Fähigkeit, Magie zu erkennen. Auch Derrien besaß diese Kraft nicht, und so gab es niemanden, der aus der Menge die Übernatürlichen herauspicken konnte. Er fühlte sich wie ein Blinder, der einen Raum betrat, der gespickt war mit Stolperfallen und feinem Porzellan, das geradezu darauf wartete, von ihm zerschlagen zu werden. Derrien hatte nur noch einen einzigen Trumpf.
Sie nahmen den Eingang über die Diskothek
Ultraviolent
, denselben, den Derrien damals genommen hatte, als er mit Keelin und den anderen zum Treffen mit Martin gegangen war. Martin war der Anführer der Bergener Renegaten gewesen, das Treffen hatte dazu gedient, das Bündnis zwischen Renegaten und Derriens Leuten zu schmieden. Es hatte gehalten, bis Martin in die Fänge Ashkarunas geraten war. Die Schatten hatten ihn gefangengenommen und gebrochen, und dann hatten sie ihn als Pfand behalten für die zukünftige Kooperation der verbliebenen Renegaten.
Derrien war gekommen, um ihn zu befreien. Wenn er in Bergen mehr Bewegungsfreiheit, mehr Handlungsspielraum haben wollte, waren freie Renegaten ein erster Schritt.
Dieses Mal
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