Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
schafften sie es ohne Zwischenfälle durch die Diskothek. Niemand hielt sie auf, niemand sprach sie an. Derrien hatte dieses Mal auf sein Outfit »reicher Russe« verzichtet und trug ein weißes Poloshirt zu Lewis-Jeans und Segelschuhen. Er spielte den Yuppie, der seine Freunde in die Unterwelt schleppte, um dort etwas mehr zu kriegen als nur das übliche Maß an Musik und Drogen und Sex. Dazu hatte er die Latexmaske über das Gesicht gezogen, ohne die ihn vermutlich jeder Schatten undjeder Rattenmensch im Umkreis von fünfhundert Kilometern erkennen würde. Die Narben, die Ashkaruna in sein Gesicht geschnitten hatte, waren einfach unverwechselbar. Seine Klingen hatte er im Sicheren Haus zurückgelassen, als Waffe trug er nur eine Pistole vom Typ Makarow im Gürtel. Ingmar hatte einen schwarzen Anzug an, unter dessen Jackett er seine Wurfmesser versteckt hatte. Tom und Åse trugen Jeans und Sakko und weitere Makarows. Torge war mit einer schwarzen Jeans und einem Hemd am gewöhnlichsten angezogen.
In der Unterwelt stellte Derrien schnell fest, dass die Schäden, die die Sprengladungen der Renegaten verursacht hatten, spurlos beseitigt worden waren. Nichts erinnerte mehr daran, dass das System aus Großkellern und stillgelegten U-Bahn-Schächten erst vor einem halben Jahr Schauplatz eines kurzen, intensiven Krieges gewesen war. Möglicherweise war die Szenerie
noch
dunkler geworden.
In diesem Teil der Unterwelt waren Wände und Einrichtung in völligem Schwarz gehalten, die Barmädchen und Bedienungen trugen ebenso Schwarz wie die unauffälligen Sicherheitstypen, die in unregelmäßigen Abständen patrouillierten. Ein absolutes Minimum an Lampen sorgte dafür, dass man zumindest sehen konnte, wohin man lief, dazu kamen auf den Tanzflächen Stroboskope, die die Bewegungen der Tänzer abhackten und unscharf machten. Schwarzlichtlampen ließen weiße Kleidungsstücke leuchten und machten deren Träger zu gespenstischen Erscheinungen. Dazu hämmerte harte Gitarrenmusik zu einem scharfen Beat.
Derrien zwang sich dazu, locker zu bleiben, mit seinen Leuten zu reden, belanglose Dinge über einen gemeinsamen Job, den es noch nie gegeben hatte. Seine Männer spielten mit, so gut sie konnten, Tom und Ingmar einigermaßen entspannt, Torge jedoch verbissen und angestrengt. Kein Wunder: Er war das Opferschaf, das Derrien hier zur sprichwörtlichen Schlachtbank führte, und er wusste es. Von ihnen allen hatte Torge die denkbar schlechtesten Aussichten, hier lebend wieder herauszukommen.
Bei alledem versuchte Derrien ein Auge offen zu halten nach potentiellen Bedrohungen und Gefahren. Hatten sie die Aufmerksamkeit des Security-Mannes neben der großen Bassbox erregt? Handelte es sich bei dem Mann mit der schwarzen Lederjacke, den gegelten Haaren und der Sonnenbrille um einen Schatten? War der bärtige Mann, der in der Sitzgruppe neben der Bar einem jüngeren Pärchen gegen ein paar Geldscheine ein Päckchen zuschob, ein Rattenmensch?
Er
brauchte
einen Rattenmenschen. Sein Plan brauchte einen Rattenmenschen. Rattenmenschen waren erpressbar, im Gegensatz zu Schatten. Einen Schatten mit Folter oder gar Tod zu bedrohen war schlichtweg zwecklos, Derrien hatte das schon mehrmals ausprobiert.
Während Derriens Grübeln wechselte die Stimmung in der Unterwelt-Diskothek. Die Musik wurde langsamer, ein Keyboard kam hinzu und spielte eine klagende Melodie über die wummernden E-Gitarren. Eine männliche Stimme sang in tiefem Bass über Vergänglichkeit und Sterben. An die Stelle der Stroboskope traten die Diskokugeln, die Tausende kleiner Lichter durch die Halle tanzen ließen.
»Das Mädchen dort drüben am Eingang«, murmelte Ingmar, während sich Tom und Torge über eine fiktive Betriebsreise nach Belgien unterhielten. Derrien fand, dass sie fast schon übertrieben mit den Dingen, die sie dort angestellt haben wollten. »Ist das eine Maus?« Maus war natürlich ein Codewort für Ratte. Hier, wo so viele Ohren ungewollt ihren Gesprächen lauschen konnten, war es unumgänglich, die wichtigsten Schlüsselbegriffe zu umschreiben.
»Nein«, antwortete Derrien, ohne sich nach ihr umzudrehen. »Die Mäuse haben keine Frauen.«
»Was?«, fragte Åse überrascht. »Wie vermehren die sich dann?«
Derrien zuckte mit den Schultern. Er vermutete aber, dass es so ähnlich funktionierte wie bei den Druiden – die Clans entsprachen den Stämmen, jeder, der dazugehörte, konnte Kinder bekommen, die Druiden oder eben Rattenmenschen
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