Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
graue Wolken dahin, um einen anderen Teil Norwegens unter ihrer weißen Last zu bedecken. Darunter kreisten zwei Nebelkrähen, blieben jedoch bald hinter ihnen zurück.
Als Keelin eine neue Zigarette anzündete, blieb Wolfgang vor ihr stehen. »Rauchen ist ungesund«, meinte er. »Ich als der Heilkundige unter uns beiden fühle mich dazu verpflichtet, dir das mitzuteilen.«
»Ha, ha.« In ihrer Abteilung im Krankenhaus hatten praktisch alle geraucht, von den Ärzten angefangen über die Schwestern bis hin zum Putzpersonal. Ein Heilberuf schützte weder davor, anzufangen, noch half er dabei, damit aufzuhören. Eine rauchende Heilerin war da nichts Außergewöhnliches.
»Du weißt, dass ein Druide an Lungenkrebs sterben kann?«
Keelin zog die Augenbrauen nach oben. »Nein, wusste ich nicht. Aber glaubst du wirklich daran, dass wir so alt werden, dass wir uns darum Sorgen machen müssen?«
Wolfgang stapfte zu ihr zurück. Er kam ihr so nahe, dass sie seinen Atem auf ihren Wangen spüren konnte. Seine dunkelbraunen Augen bohrten sich in die ihren. »Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben, Keelin«, erklärte er dabei. »Es
gibt
eine Zukunft. Es ist noch nicht zu spät, der Schattenkrieg ist noch nichtverloren!« Er hielt für einen Moment weiter Blickkontakt, einen Moment, in dem Keelin das Gefühl überkam, dass er mit diesen Worten mindestens ebenso sehr sich selbst überzeugen wollte wie sie. Wolfgang hatte selbst die Hoffnung verloren, vermutlich in dem Moment, in dem er vom Untergang Trollstigens und seiner Frau gehört hatte.
Die Bitterkeit in seinen Augen verpasste ihr einen größeren Stich, als sie gedacht hätte. Sie zwang sich dazu, sich nicht davon herunterziehen zu lassen. Stattdessen wiederholte sie wie ein Mantra seine Worte in ihrem Kopf.
Es gibt eine Zukunft
, dachte sie.
Es ist nicht zu spät. Wir können gewinnen. Es gibt eine Zukunft …
Julius wartete teilnahmslos, bis ihr Austausch beendet war. Dann stapften sie weiter die Russa entlang durch den Schnee, schweigend, bis der Helvetier nach etwa einer Stunde erneut stehen blieb.
»Was ist?«, fragte Keelin, als sie zu ihm aufgeschlossen hatte.
»Wir sind an der Pforte«, erwiderte Julius. Er deutete nach Süden, weg vom Lauf des Flüsschens, und fügte hinzu: »Fünfzig Meter weiter spürt ihr ihre Magie.«
Ab hier übernahm Wolfgang die Führung. Wachsam und vorsichtig stieg er den Hang hinauf. Keelin folgte ihm, ließ ihre Augen zwischen den Bergen hin und her huschen, auf der Suche nach einem Beobachter. Julius hatte in ihren vorbereitenden Gesprächen mehr als einmal deutlich gemacht, dass hier Cintorix’ Perimeter begann. Doch sie sah nichts. Bis hier schien alles ruhig und friedlich.
Dann spürte sie plötzlich, wie sich ihr Bewusstsein erweiterte. Es war, wie wenn ihre Seele plötzlich größer werden, aus ihrem Körper quellen würde, sie erspürte die winterschlafenden Pflanzen unter dem Schnee zu ihren Füßen ebenso wie die Steine und Felsen. Vor sich konnte sie Wolfgang erfühlen, einen kräftigen, lebendigen Körper, durch seine Kraft der maskierten Aura scheinbar so frei von Magie wie ein gewöhnlicher Mensch, genauso wie Julius hinter ihr, älter, gebrechlicher, sein Lebensfunke merklich schwächer als der des jungen Sachsen. Als sich ihre Wahrnehmungnoch weiter ausdehnte, fand sie in den Tiefen der Magieströmung die Aura eines Geistes, eines alten Wächters, der ihre Ankunft mit vagem Interesse verfolgte. Sie hatten die Pforte gefunden. Die östlichste Pforte des Kreuzwaldes im Siedlungsland der Helvetier.
Wolfgang blieb stehen und stellte den Rucksack auf den Boden. Ohne Zögern und ohne Rücksicht auf den eisigen Wind schlüpfte er aus seinen Kleidern. Als er seine nackten Füße in den Schnee stellte, stieß er mit hoher Stimme einen deutschen Fluch aus, sofort war seine Haut von Gänsehaut überzogen. Schnell kramte er die Innenweltkleider hervor: lange Unterwäsche aus Wolle, eine lederne Hose, fellgefütterte Stiefel, ein Wams, eine Fellweste, darüber Kettenhemd und Umhang. Die Scheide des Dolchs befestigte er hinten an seinem Gürtel, das Kurzschwert gürtete er um seine Taille. Mütze, Schal und Handschuhe aus grauer Wolle schlossen seine Ausrüstung ab.
»Ich hole euch ab, wenn die Luft rein ist«, meinte Wolfgang. Dann griff er zu dem Thorshammer um seinen Hals, schloss die Augen und begann zu beten.
Im nächsten Moment war er verschwunden. Keelin zuckte etwas zurück, überrascht von seinem abrupten Wechsel.
Weitere Kostenlose Bücher