Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)

Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)

Titel: Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
Vom Netzwerk:
Offenbar waren die Pikten nicht die Einzigen, die so rasch zwischen den Welten reisen konnten. Für sie als Keltin, für die der Vorgang mehrere Minuten dauerte, war es ungewohnt, geradezu furchteinflößend.
    Keelin warf einen Blick zurück zu Julius, der mittlerweile in eine graue Kutte geschlüpft war. Der Helvetier hatte seine Kapuze übergezogen, so dass von seinem Gesicht kaum noch etwas zu sehen war. Dampfwölkchen bildeten sich mit jedem Atemzug um seinen Mund, deutlich mehr, als ein Erwachsener üblicherweise atmete. Er hatte Angst. Sie konnte es ihm nicht verübeln.
    Sie nickte ihm zu. Nachdem er sich umgedreht hatte, wappnete sie sich gegen die Kälte und begann, sich selbst für die Innenwelt umzuziehen.
     
    Der Heilige Hain befand sich ein Stück abseits der Russa. In unregelmäßigen, aber großzügigen Abständen waren die Seelenbäume der Bewohner Allobrogas gepflanzt, eine bunte Mischung aus beinahe sämtlichen Baumarten Mittel- und Nordeuropas, die ohne die Magie der Pforte in dieser unwirtlichen Gegend niemals eine Chance auf Überleben gehabt hätten. So aber mischten sich kahle Buchen unter Fichten und Kiefern, Eichen standen zwischen Ulmen und Eschen, Eiben wuchsen neben Tannen und Lärchen. Im Zentrum des Hains befand sich auf einer Lichtung ein blauer Stein, von Größe und Form etwa dem Baumstumpf einer Buche entsprechend, auf dessen Oberseite in weißer Farbe Symbole der keltischen Mythologie gemalt waren, allen voran die der acht Hauptgottheiten. Ränder und Seitenflächen waren von keltischen Bänderungen überzogen.
    Während Julius seinen Seelenbaum aufgesucht hatte, um zu beten, half Keelin Wolfgang, der in einer kleinen Kuhle ihr Zelt aufschlug. Sie fror, trotz der mit Pelz gefütterten Jacke und den drei Lagen Wäsche unter ihrem Lederzeug. Die Nacht würde die Hölle werden.
    Als sie damit fertig waren, war die Abenddämmerung bereits vorüber. Erste Sterne standen am Himmel, langsam kroch eine schmale Mondsichel das Firmament hinauf. Der Wächtergeist hatte noch immer nicht auf sie reagiert, offenbar würde er ihre Präsenz hier tolerieren. Cintorix hatte ihn noch nicht durch einen etwas loyaleren Diener ersetzen können.
    Julius kehrte zurück. Wolfgang nahm einen kräftigen Zug aus seinem Wasserschlauch und hielt ihnen den Zelteingang auf. Nachdem sie hineingeklettert waren, meinte der Sachse: »Ich komme nach, so schnell ich kann.«
    Der Helvetier sah überrascht auf. »Wo wollt Ihr hin?«
    »Ich muss den Weg nach Allobroga ausspähen«, erwiderte Wolfgang mit einem Schulterzucken. »Cintorix kann es sich nicht leisten, diesen Zugang unbeobachtet zu lassen. Irgendwo
müssen
seine Späher sein.« Er verbeugte sich kurz. »Wünsche eine geruhsame Nacht. Mal sehen, ob Wolfgang der Pfadfinder«, dabei zoger eine säuerliche Miene, »diesen Helvetiern da draußen noch etwas beibringen kann.« Damit ließ er die Zeltklappe zurückfallen. Seine Schritte quietschten im Schnee, als er langsam Richtung Osten davonstapfte.
    Keelin schlüpfte aus Hose und Jacke und kroch in ihren Schlafsack. Ihr Wams knäulte sie zusammen, um es als Kissen zu nutzen. Auf die Seite gedreht, mit angezogenen Knien und der Hand unter ihrem Kopf, lauschte sie auf Julius, der sich mühsam und steif und mit unendlicher Langsamkeit schlafbereit machte. Draußen rauschte leise der Wind in den Wipfeln der Bäume. In der Ferne jaulte ein einsamer Wolf. Dann und wann gluckste die Russa, die am Rande des Heiligen Hains vorüberfloss.
    »Gute Nacht«, murmelte Julius schließlich, nachdem er offenbar endlich eine Position gefunden hatte, in der er glaubte, schlafen zu können.
    »Gute Nacht«, erwiderte Keelin.
    Doch als sie die Augen schloss, stellte sie fest, dass sie nicht müde war. Zumindest nicht müde genug, um zu schlafen. Sie fragte sich, wie es Wolfgang da draußen erging auf seiner Jagd nach möglichen Feinden. Ob er wohl jemanden finden würde? Ob
ihn
wohl jemand finden würde? Was würden sie tun, wenn er da draußen umkam? Sie spürte einen leichten Stich im Herzen, wenn sie daran dachte, dass er möglicherweise schon jetzt irgendwo im Schnee lag und langsam verblutete, einsam und alleine gelassen.
    Er besaß Mut.
    Die Erkenntnis überraschte sie. Mut hatte sie bisher immer mit den Krieger-Druiden in Verbindung gebracht, die im Schildwall den Kampf Mann gegen Mann suchten und dem Tod direkt ins Auge sahen. Doch irgendwie schien ihr das für den Moment noch einfacher zu sein, als alleine dort hinauszugehen.

Weitere Kostenlose Bücher