Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Allein der Gedanke daran jagte einen Schauer über ihren Rücken.
Sie stand auf und zog sich wieder an. Sie hatte keine Lust mehr, hier weiter darauf zu warten, dass Wolfgang zurückkam, oder vielleicht einer seiner Mörder, um auch sie zu töten. Juliusatmete langsam und tief, während sie aus dem Zelt kroch, fragte nicht nach, wo sie jetzt noch hinwollte. Offenbar war der alte Druide bereits eingeschlafen. Ihr konnte das nur recht sein. Anschließend suchte sie unter den Bäumen des Heiligen Hains nach einer Eibe. Ein in der Dunkelheit nicht einfaches Unterfangen, doch sie hatte sich vorher schon umgesehen und fand deshalb bald, wonach sie suchte.
Langsam ging sie vor dem Baum in die Knie und faltete ihre Hände vor ihrer Brust.
Herrin Eibe
, betete sie mit geschlossenen Augen.
Ehre sei Euch und dem Walde, den Göttern und Geistern. Herrin Eibe, ich erflehe Eure Hilfe. Steht zu mir in dieser dunklen Stunde. Gewährt mir Schutz auf meinem Weg, bewahrt mich vor den Blicken meiner Feinde. Die Not ist groß, Herrin. Helft mir, meine Aufgabe zu erfüllen, das Buch der Schatten zurückzuholen. Helft mir, den Schattenkrieg zu gewinnen, den Völkerkrieg zu beenden. Helft mir, Herrin – ich flehe Euch an! Beschützt auch meine Gefährten, ohne die meine Mission zum Scheitern verdammt ist. Haltet Eure behütenden Zweige über sie, bewahrt sie vor Entdeckung und Angriff. Herrin Eibe, Ehre sei Euch und dem Walde, den Göttern und Geistern.
Langsam öffnete sie wieder ihre Augen und fragte sich, ob das Gebet wohl gehört worden war oder einfach nur in der einsamen Nacht verhallte.
Dann bist du also Keelin Eibentochter
.
Keelin erstarrte. Sie hätte kaum mit einer Antwort gerechnet, nicht so schnell und so direkt. Sie zwinkerte überrascht, senkte schnell ihren Kopf, starrte zu Boden, wo die nachtschwarze Borke des Eibenstammes auf den Schnee des Waldbodens traf. »Ja, Herrin«, flüsterte sie.
Ich habe viel von dir gehört, Keelin.
Die Wortwahl des Baums machten Keelin klar, dass sie es nicht mit der Eibe als Ganzes zu tun hatte, mit der Eibe als Idee, als Baumzeichen, die ihr Kräfte verliehen hatte, ihr Träume schickte. Nein. Die Worte stammten von dieser Eibe, dem einen Baum, vor dem sie kniete.
»Woher kennt Ihr mich?«, fragte sie ehrfürchtig.
Ich bin ein Seelenbaum, Keelin. Der Seelenbaum eines Druiden, der mit dir zu tun hatte. Durch seine Augen habe ich von dir erfahren.
Keelin überlegte kurz. Mit welchen Eibendruiden hatte sie in Norwegen zu tun gehabt? Sofort fiel ihr Keith MacRoberts wieder ein, der alte Heilerdruide, der ihr nichts hatte beibringen können. Aber wer sonst noch?
Ihr fiel es wie Schuppen von den Augen. Cintorix! Fürst Cintorix war eine Eibe! Der Verräter! Ihr schlimmster Feind! Ihm das wichtigste Artefakt der Gegenwart zu entreißen war der Grund, weswegen sie hier waren! Und sie, Keelin, suchte sich ausgerechnet seinen Seelenbaum aus, um Eibe um Hilfe anzuflehen!
Ihr wurde schwindelig, als das Blut vor lauter Schreck in ihrem Körper versackte. Auf ihrer Stirn brach kalter Schweiß aus, ihr Herz begann wie wild zu pochen. Ihre Arme zitterten, und sie war sich sicher, dass ihre Beine sie nicht tragen würden, wenn sie jetzt aufzustehen versuchte. Bei allen Göttern, wie
konnte
sie nur …
Hab keine Angst, Eibenkind. Ich zürne dir nicht. Ich weiß Bescheid: Meine Seele ist verraten. Ich fühlte es schon vorher, und jetzt lese ich es in deinem Herzen. Er hat die Verbindung vernebelt, um mich zu täuschen, doch nun sehe ich klar! Bei Sternensang und Sonnenklang, was hat er bloß getan?
»Herrin … Es tut mir leid … Ich … Ich kenne nur … Ich kenne nur Gerüchte …«
Nein, Keelin Eibentochter, sag es nicht. Sag es nicht! Ich will es nicht wissen. Dein Schmerz und seine Hinterlist sind mir Wissen genug! Die Schande! Die Schande!
»Herrin Eibe …« Keelin war völlig verstört. Das Leid des Baumes traf sie gänzlich unvorbereitet, zumal ihr Baumzeichen Eibe bisher nur sehr distanziert und gefühllos mit ihr gesprochen hatte. Diese Verzweiflung nun war etwas, womit sie absolut nicht umzugehen wusste. »Sagt, wie kann ich Euch helfen?«
Eine Axt!
Die Eibe stieß den Gedanken so hart in Keelins Bewusstsein, dass sie einen stechenden Schmerz im Hinterkopf verspürte.
Eine Axt! Den Baummörder! Gib mir den blanken Stahl zu
spüren! Führ seine Klinge gegen meinen Stamm und setzte dem Leid ein Ende! Die Schande ist mehr, als ich tragen kann, mehr, als jeder Seelenträger tragen
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