Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
kann!
»Aber Herrin! Ich kann doch nicht –«
Natürlich kannst du! Du bist eine Eibentochter! Das Töten liegt dir nicht ferner als das Heilen! Mein Kind: Ich befehle es dir!
»Nein! Ich werde nicht bei Eurem Selbstmord helfen!« Denn das war es, was die Eibe wünschte und von ihr forderte. Außerdem war Keelin keine Mörderin, egal, was der Baum von ihr hielt! Erinnerungen quollen in ihr hoch, Erinnerungen an ein Schlachtfeld, an ein Gefängnis, und trieben ihr Tränen in die Augen. Ein Schluchzer kämpfte in ihrer Kehle darum, freigelassen zu werden, doch sie stemmte sich dagegen, stemmte sich gegen Trauer und Verzweiflung, Gefühle, die nie fern von ihren Erinnerungen waren. Sie wurde wütend, wütend auf sich selbst und ihre Schwäche, und diese Wut nutzte sie, um ihre Emotionen zurückzukämpfen.
Es war ein harter Kampf. Ein Kampf, den sie früher mit Sicherheit verloren hätte. Doch die Geschehnisse der Vergangenheit hatten auch sie hart gemacht, und so gelang es ihr, all ihren Willen zusammenzunehmen und den Sieg davonzutragen. Energisch wischte sie sich die Tränen aus den Augen. »Ich bin kein Mörder«, erklärte sie, nicht ganz ohne Stolz.
In ihren Gedanken hörte sie einen Seufzer. Eine lange Pause entstand, eine Pause, in der ihre Oberschenkel zu zittern anfingen und die Kälte in ihren Körper kroch. Sie war sich nicht sicher, ob die Eibe noch bei ihr war oder ob sich ihr Bewusstsein wieder unter ihren borkigen Panzer zurückgezogen hatte.
Dann hörte sie plötzlich wieder ihre Gedanken. Nicht mehr aufgewühlt und verzweifelt, nicht mehr verletzt und erschüttert. Die Gedanken, die sie in ihrem Kopf hörte, waren skrupellos und eisig kalt. Eibes Gedanken, zweifellos. So kannte sie ihr Baumzeichen.
Töte mich
, erklärte der Baum,
und du verletzt ihn. Denke darüber nach, ob du es dir leisten kannst, einen solchen Vorteil auszuschlagen!
Keelin schluckte. Schluckte noch einmal. Entsetzen machte sich in ihr breit. Sie war hierhergekommen, um den Baum um Hilfe anzuflehen bei ihrem Kampf gegen Cintorix. Nun hatte der Baum ihr eine Hilfe angeboten, die größer war, als sie sich je erträumt hätte.
Nur dass diese Hilfe einen Preis hatte. Einen Preis, den sie nicht zahlen wollte.
Ihr kamen die Worte eines ihrer Lehrer im Glen Affric wieder in den Sinn.
Mach dir nichts vor, Keelin. Das Leben der Eibe ist angefüllt mit bitteren Entscheidungen und trostloser Einsamkeit.
Niemals waren diese Worte wahrer gewesen als jetzt. Während am Himmel über ihr die ersten Nordlichter aufflackerten, ließ sich Keelin langsam auf ihre Fersen sinken und starrte gedankenverloren in die Finsternis.
WOLFGANG (4)
Im Heiligen Hain von Allobroga, helvetisches Siedlungsgebiet, Norwegen
Sonntag, 14. November 1999
Die Innenwelt
Es war eine klare Nacht. Der Wind säuselte in den Bäumen des Heiligen Hains, passend zum Glucksen der Russa. Der Neumond war nicht mehr als eine schmale Sichel, nach links hin geöffnet als Zeichen dafür, dass er wieder voller werden würde. Am Himmel flimmerten grüne Nordlichter wie ein schlecht gewarteter Fernseher zur Mitternacht.
Nein.
Wolfgang schüttelte angewidert den Kopf.
Nicht wie ein Fernseher, verdammt. Ganz bestimmt nicht wie ein Fernseher.
Denn Nordlichter hatten etwas Ästhetisches, besaßen eine natürliche Schönheit, während ein flimmernder Fernseher einfach nur ätzend war. Doch Wolfgang hatte praktisch sein gesamtes bisheriges Leben in Utgard verbracht, Utgard-Vergleiche würden ihm wahrscheinlich auch für den Rest seines Lebens in den Sinn kommen.
Das Wasser der Russa war eisig, als er seine Hände hineintauchte. Sein Daumen gab quietschende Geräusche von sich, als er über die Klinge seines Kurzschwertes rieb, um das festgefrorene Blut daran loszuwerden. Gedankenverloren sah er in den Himmel, wo das Strahlen der Nordlichter immer intensiver wurde, während der Bach das Blut davonspülte. Ob hier in der Gegend noch andere Wachen auf sie lauerten? Er hatte keine Ahnung.
Er hatte dem Toten einen Fetzen aus seinem Hemd gerissen. Nun wischte er sein Schwert daran trocken und säuberte im Anschluss auch den Dolch. Es war eigentlich Herwarths Waffe, eine alte, magische Klinge noch aus Zeiten der Jahrhundertwende. Wolfgang hatte sie sich so oft für seine Missionen geliehen, dass er sie fast schon als sein Eigentum ansah.
Der Dolch hieß
Schlangenbiss
, angeblich nach dem Fabelwesen auf dem Bugspriet des Schiffs seines ersten Besitzers benannt. Wolfgang
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