Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
hinkriegen zu können. Die Sache mit dem harten Tagesmarsch war sowieso nicht allzu weit hergeholt.
Sie hatten mehr als eine Woche in Allobroga verbracht, bei Gaius und seinen Mitbewohnern. Lange genug für Wolfgang und Keelin, sich an die Sprache zu gewöhnen und um sich noch einmal die wichtigsten Dinge über das helvetische Siedlungsgebietzu verinnerlichen. Sie mussten in der Lage sein, die typischsten Fragen zu beantworten, die ihnen gestellt werden könnten. Wolfgang hatte seine Kraft der Sprachen gut auf das hiesige Helvetische eingestellt, so dass er den Zauber nun mit relativ wenig Anstrengung auch über einen längeren Zeitraum halten konnte. Selbst ohne Zauber begann er, einzelne Wörter zu verstehen. Julius hatte sie in den beiden Wochen einem strengen Drill unterzogen.
Außerdem war mittlerweile Gras über die verschwundene Patrouille am Hain von Allobroga gewachsen. Die Geschichte mit den um den ganzen Wald herum verstreuten Gliedmaßen hatte Wellen geschlagen. Das Gerücht ging um, dass die norðmenn einen eigenen Dämon beschworen hatten, der nun im Kreuzwald lebte und dann und wann nach draußen kroch, um Nain zu töten. Angeblich war es seitdem schwieriger geworden, Fomorer für den Wachdienst an den Pforten zu finden.
Der Gedanke daran ließ Wolfgang noch jedes Mal grinsen. Wenn die Leute bloß wüssten, dass sich hinter ihrem Kreuzwald-Dämon ein Mann von noch nicht einmal einem Meter siebzig Körpergröße verbarg … Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Schnell wischte er das Grinsen aus seinem Gesicht.
»Wer seid ihr?«, rief ihnen eine Stimme entgegen, als sie kurz vor dem Tor standen. »Und was wollt ihr in der Stadt?«
»Ich bin Ratorix aus Lomus 30 .« Das war eine Siedlung am See Vågåvatnet, etwa fünfzig Kilometer Luftlinie von Helvetica Magna entfernt – weit genug, dass man davon ausgehen konnte, dass nicht allzu viele Bewohner der Stadt Verwandte und Bekannte dort hatten. »Das ist meine Frau Gavina. Wir sind hier zur Audienz des Häuptlings.« Offenbar hatte Cintorix seit dem Tod des alten Häuptlings damit begonnen, einmal in der Woche seine Bürger zu empfangen, um ihre Sorgen und Probleme anzuhören. Wolfgang konnte sich nicht vorstellen, dass der Grund dafür in Cintorix’ Herzensgüte zu suchen war, doch war es ein willkommenesAlibi. Sie waren ein verzweifeltes, armes Ehepaar, das weit gereist war, um den großen Fürsten um Gerechtigkeit anzuflehen.
»Ihr seid von Lomus bis hierher marschiert?« Die Stimme war noch immer körperlos. Wenn Wolfgang es richtig einschätzte, befand sich der Wachmann im Turm.
»Ja, Herr.«
»Zur Audienz des Häuptlings?«
Immer unterwürfig, Wolfgang, immer unterwürfig.
»Ja, Herr.«
Er kann bestimmt nichts dafür.
»Weshalb?«
»Ähm …«, stotterte Wolfgang. Nicht etwa, weil er sich nichts ausgedacht hatte, sondern weil ein gewöhnlicher, armer Mann, der Streit mit einem Schatten hatte, vorsichtig sein musste, wem er sich anvertraute. Ein fremder Wachmann war mit Sicherheit niemand, dem ein solch armer Schlucker vertrauen konnte, weshalb Wolfgang rollengerecht versuchte, sich herauszuwinden: »Herr, ich … Ich fürchte, ich kann Euch das nicht sagen.«
»Erzähl es mir, oder das Tor bleibt heute Abend verschlossen.«
Ach, die Willkür der Mächtigen …
»Aber Herr … Ich … Ihr könnt doch nicht …«
»Vor drei Tagen sind die Wölfe bis an das Stadttor gekommen. Die Biester sind ganz schön hungrig, aber lasst euch davon nicht ablenken. Ihr habt die ganze Nacht Zeit, darüber nachzudenken, wie wichtig es euch ist, in die Stadt zu kommen.«
»Herr …«, flehte Wolfgang. »Ich bitte Euch …« Doch der Wachmann machte keine Anstalten, ihm entgegenzukommen, weshalb Wolfgang schließlich eingestand: »Ich habe Streit mit einem Schatten.«
»So, so, Streit mit einem Schatten. Du bist aber nicht auf der Flucht, oder? Hast wohl was ausgefressen und bist davongelaufen.«
»Nein, Herr. Nur Streit. Er … Er hat unsere Tochter zu sich genommen. Gegen ihren Willen.«
Aus dem Turm ertönte mehrstimmiges Gelächter. Offenbarwar der Wachmann nicht alleine dort drin. Schließlich fragte er spöttisch: »Ihr seid euch aber schon bewusst, dass die Schatten unsere neuen Herren sind?«
»Ja, Herr. Aber das ist nicht rechtens.«
»Die Schatten machen ihr eigenes Recht! Junge, ich gebe dir den Rat, dreh um und laufe zurück nach Lomus. Du handelst dir hier mehr Schwierigkeiten ein, als dir lieb sein kann.« Dies war der
Weitere Kostenlose Bücher