Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Situation nur zu deutlich. Sowohl Tür als auch Fenster waren nur drei Meter weit weg, doch sie hätten ebenso gut auf dem Mond sein können, solange die Gardisten davorstanden. Sie hatten Keelin mit dem Rücken zur Wand, ihr Messer hatte keine Chance gegen drei Klingen gleichzeitig.
Plötzlich war ihr Kopf leer. Keine Gedanken rasten mehr darin herum, mit einemmal hatte sie keine Angst mehr, keine Zweifel, keine Unsicherheit. Sie saß in der Falle, so tief, dass sie sich niemals wieder daraus befreien konnte. Das Spiel war aus. Es war ein Akt der Verzweiflung gewesen, ohne Wolfgang die Mission weiterzuführen, eine Tat, damit die Selbstaufopferung der Eibe im Heiligen Hain wenigstens nicht umsonst gewesen war, doch nun war es vorbei. Mit einem Seufzer ließ Keelin das Messer sinken. Kraftlos hing die Waffe zwischen ihren Fingern, glitt ihr langsam davon, doch sie störte es nicht mehr.
Es war vorbei.
Die beiden Männer von der Straße traten gemeinsam nachvorne. »Du kleiner Wichser, die Waffe runter!«, schnauzte der Bullige noch einmal. Sein Schwert erhob sich zum Schlag.
Der dritte Gardist, der Bärtige, steckte mittlerweile seelenruhig sein Schwert davon und zog stattdessen einen Dolch hervor. Sein Gesicht war ausdruckslos, während er hinter Pickelgesicht trat und die Klinge anhob. Keelin starrte ihn an, ungläubig und fassungslos, für einen Moment nicht mehr in der Lage, zu begreifen, was hier passierte. Ruckartig packte der Bärtige Pickelgesichts Haare und riss den Kopf nach hinten, während der Dolch vorschnellte und in einer schnellen, sägenden Bewegung,
hin, her, hin, her
die Kehle des Gardisten durchschnitt. Pickelgesichts Schrei erstickte, noch ehe er begonnen hatte, in einer roten Wolke.
»Was –«, blaffte der Bullige, zu überrascht, um zu schreien.
Der Bärtige verpasste Pickelgesicht einen Tritt, der den Gardisten mit rudernden Händen zu Boden gehen ließ. Der Bullige erwachte aus seiner Starre und schwang sein Schwert nach dem neuen Gegner.
Keelin packte ihr Messer fester und sprang mit einem kurzen Schrei dem Bullen in die Seite. Mit der Kraft der Verzweiflung stieß sie zu, trieb die Spitze durch sein Kettenhemd. Der Stahl schrammte über Knochen, sank dann tief in seinen Brustkorb. Der Mann keuchte auf, ein Geräusch wie ein Rülpsen, brach dann in sich zusammen wie ein nasser Sack. Pickelgesicht lag bereits still, in einer großen Lache dunklen Blutes, das sich langsam in die Balken saugte.
»Los, Keelin!«, zischte der Bärtige. »Komm schon!«
»Wer …«, stammelte Keelin, fassungslos darüber, ihren Namen zu hören, »wer bist du?«
Er ging gar nicht darauf ein, packte bloß ihre Hand und zerrte sie mit sich auf den Gang. »Das Buch ist oben, im Schlafzimmer des Fürsten! Schnapp es dir und sieh zu, dass du davonkommst! Ich halte sie auf!«
Benommen nickte sie und stieg die Treppe hinauf. Auf dem Absatz machte sie noch einmal kehrt, um zu fragen, wo sie sichtreffen würden, was er geplant hatte, doch da war der Mann auch schon verschwunden.
Sie schüttelte kurz den Kopf, verdrängte den Vorfall aus ihren Gedanken. Wenn sie dies hier überlebte, hätte sie später noch genügend Zeit, die Ereignisse verstehen zu wollen. Wenn nicht, war es ohnehin egal. Hastig eilte sie weiter nach oben.
WOLFGANG (7)
Helvetica Magna, Norwegen
Sonntag, 05. Dezember 1999
Die Innenwelt
Das Verlies, in das man Wolfgang gesteckt hatte, nachdem ihn seine Regenerationskräfte zurück zum Leben erweckt hatten, war dunkel, kalt und feucht. Die Fackel im Korridor war das einzige Licht hier unten. Die Wände zwischen den Zellen bestanden aus bröckeligem Mauerwerk, doch die Rückwand war purer Fels, von der die Kälte abstrahlte wie aus einem offen stehenden Kühlschrank.
Wolfgang hatte mittlerweile herausgefunden, dass die anderen Gefangenen nicht alle in Einzelzellen untergebracht waren – Einzelhaft war offenbar das Privileg eines Magiers, der so blöd gewesen war, sich lebend erwischen zu lassen. Er schien der Einzige dieser Sorte zu sein, die übrigen Männer waren meist Leibeigene und Arme, die die Gardisten aufgelesen hatten.
Auch war er der Einzige, der gefoltert wurde.
Es hatte mit dem Tag nach seiner Gefangennahme angefangen. Cintorix selbst hatte ihn besucht und ihm erklärt, was auf ihn zukam. Ein seltsam zivilisiertes Verhalten von einem Mann, der einen Großteil seines Volkes verraten hatte und zu seinem größten Feind übergelaufen war. Wolfgang hatte versucht, sich
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