Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
nicht, den Schmerzensschrei auf seinen Lippen zu unterdrücken. Erschrocken über sich selbst stand er auf und taumelte zurück, für einen Moment benommen und desorientiert. Diesmal brauchte er nicht nach seiner Stirn zu tasten. Er konnte das Blut, das seine Schläfe hinablief, bereits spüren.
Mit wackeligen Knien ließ er sich auf das an der Wand befestigte Holzbrett sinken, das er zum Schlafen benutzte. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen. Der Schmerz war mittlerweile zu einem dumpfen Pochen geworden.
Nur einen Moment ausruhen …
Er schreckte hoch. Wie lange war er so weggetreten? Minuten? Stunden? Was war mit der Ablenkung? Hatte er sie verpasst? Oder hatte Gaius sein Versprechen vergessen, den Seelenbaum der Spinne umzuschlagen? Und warum fühlte sich sein Hemd so feucht an?
Er sah an sich runter. Blut hatte sich in den Stoff gesaugt, so viel, dass es ihm an der Haut klebte. Er hatte geblutet wie ein Schwein, wie so typisch für Kopfplatzwunden. Mühsam erhob er sich und sank sogleich wieder auf die Pritsche, als sich der Raum um ihn herum zu drehen begann.
Verdammt, wie viel Blut ist da eigentlich rausgelaufen?
Oder hatte er doch etwas zu hart zugeschlagen? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass es Zeit für seine Maskerade war. Das hieß, wenn er den Zeitpunkt nicht schon verpasst hatte.
Vorsichtig, um seinen malträtierten Schädel nicht zusätzlich zu belasten, ließ er sich von der Pritsche auf den Boden sinken und legte sich hin, gekrümmt und auf die Seite. Dann steckte er sich den Finger in den Hals, so tief, dass er die rauen Strukturen im hinteren Bereich seiner Zunge tasten konnte. Der Würgereiz kam nur langsam, es dauerte eine Weile, bis er endlich kotzen konnte. Sein Magen verkrampfte sich, seine Speiseröhre presste das Mittagessen schwallartig nach oben. Wolfgang ließ die saure, widerliche Masse aus seinem Mund laufen, wehrlos und passiv, ganz so wie jemand, der sich während einer Bewusstlosigkeitübergab. Er steckte noch einmal den Finger nach unten und provozierte sich weiter, bis er erneut brach, und noch einmal und noch einmal, bis schließlich nur noch bittere Galle zum Vorschein kam.
Schließlich pinkelte er sich noch in die Hose. Es kostete überraschend wenig Selbstüberwindung, stellte er fest. Offenbar reichte es, einmal den Ekel vor sich selbst zu überwinden. Mit seinem Kopf in einer Pfütze seines eigenen Erbrochenen schien die Pisse kaum noch etwas auszumachen.
Dann wartete er.
Seine Gedanken drifteten wirr durch halbwache Tagträume, dachten an Gudrun und daran, was sie wohl dazu sagen würde, wenn sie ihn nun sehen könnte. Ob sie tatsächlich saufend an Odins Tafel saß? Oder galt das nur für Männer? Was taten Frauen in Walhall? Und was war mit Keelin? War sie noch irgendwo da draußen und lauerte auf ihre Chance, das Buch zu stehlen? Oder hatte man sie ebenfalls gestellt und nur irgendwo anders untergebracht? War sie vielleicht gar tot? Waren alle seine Pläne gescheitert, als man ihn auf dem Marktplatz erkannt hatte? Warum hatte man ihn eigentlich erkannt?
Glockengeläut schreckte ihn aus seinen Gedanken. Es war nicht das träge, ordinäre Schlagen, mit dem eine Stunde angezeigt oder der Beginn einer Versammlung angekündigt wurde. Es war Sturmgeläut. Es war ein Alarm.
Wenn Wolfgang nur ein ganz klein bisschen Glück geblieben war, war irgendwo hoch über ihm im Rathaus die Spinne vor ihrer Versammlung aus Bittstellern zusammengebrochen, weil irgendwo in der Ferne ein junger stolzer Helvetier einen Baum umgeschlagen hatte. Das war Wolfgangs Chance. Das hieß, falls es überhaupt eine Chance gab.
Er holte tief Luft und begann um Hilfe zu schreien. »HILFE!«, brüllte er. »Eindringling! Hilfe!« Er schrie auf Englisch. In der Zelle funktionierte auch die Kraft des Sprachverständnisses nicht. Es war ohnehin fraglich, ob er sich in seinem Zustand auf solch anstrengende Magie hätte konzentrieren können. »Hilfe! Hilfe!«
Eine ganze Zeitlang passierte nicht viel. Von oben hörte er Poltern, ganz gedämpft und leise. Einmal glaubte er auch, einen Schrei wahrgenommen zu haben, aber er war sich nicht sicher. Er hielt kurz inne, doch es blieb still bis auf die Glocke, die noch immer läutete. Dann schrie er selbst weiter. »Eindringlinge! Hilfe!«
Dann hörte er irgendwo auf dem Korridor Schritte hallen. Er hielt inne und legte den Kopf zurück auf den Boden. Er war sehr dankbar dafür. Die Anstrengung des Schreiens hatte seinen Kopfschmerz von neuem
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