Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Gwenhael.
»Bleib in Bewegung, so wie wir es besprochen haben! Nicht stillhalten! Los, komm! Wir müssen die anderen finden!«
Derrien befestigte das Seil, das er in mehreren Bahnen um seinen Körper geschlungen hatte, an einem Felsen und benutzte es als Sicherung, um sich an dem steilen, vereisten Hang bewegen zu können. Bald fand er Ryan, der sich beim Sturz das Genick gebrochen hatte, sowie Orgetorix, der inmitten einer matschigen Schneepfütze lag. Mühsam und unter enormen Strapazen schaffte er es, die beiden auszuziehen und in mehrere Decken zu wickeln, von denen sie alle mehr als genug bei sich trugen. Nicht erfrieren hieß die Devise.
Wenn sein Plan tatsächlich aufging, hatte er alle seine Druidenauf die Nordseite Trollstigens geschafft, auf die Seite des Isterdals, von wo die große Treppe hinauf zur Festung führte. Von dieser Seite aus erwartete die Garnison keine Feinde. Jeder wusste, dass der Hang zum Pass nicht bekletterbar war, nicht von unten und schon gar nicht von oben. Deshalb hatte sich Derrien mit seinen Druiden den Abgrund hinabgestürzt, deshalb musste er nun irgendwie den Wettlauf gegen die Kälte gewinnen, die seine Männer langsam, aber sicher zu Eis erstarren ließ. Er befahl Gwenhael, sich auszuziehen und zu den beiden Leichen zu legen, um ihnen so viel Wärme zukommen zu lassen wie nur irgendwie möglich. Dann ließ er den verdatterten Jungen zurück und kletterte weiter nach unten, um nach den anderen zu suchen.
Das Glück blieb ihm hold. Murdoch, der wie Derrien die Kraft der übernatürlichen Zähigkeit besaß, hatte sich bereits erholt und bereits Padern und Karanteq entdeckt. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, die Leichen der beiden Kundschafter anzuseilen und hinauf zu Gwenhael zu hieven.
»Ich f-f-f-f-friere zu-zu-zu Tode!«, jammerte der Junge, als sie endlich alle beisammen hatten.
Derrien ging bei Gwenhael in die Knie und legte ihm die Hand auf die Stirn. Sie fühlte sich kalt an.
Zu
kalt. Die beiden Leichen waren noch kälter.
»Die beiden Vettern sind genauso kalt«, lispelte Murdoch. »Das wird nicht funktionieren.« Sein Tonfall war dabei so nüchtern und sachlich, als ob nicht der gesamte Plan darauf aufbaute, dass
alle
Druiden den Sturz überlebten.
»Ich weiß«, knurrte Derrien. »Ich weiß. Los, zieh dich aus, leg dich dazu.«
Murdochs Augen funkelten wütend, doch er war schlau genug, Derrien nicht zu widersprechen. Der verschwitzte Oberkörper des Schotten dampfte in der Kälte, als er sich das Hemd über den Kopf zerrte.
Auch Derrien zog sich aus. Die Kälte überzog ihn mit Gänsehaut, doch er war mit seinen Gedanken ganz woanders. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf einen weiteren Zauberspruch.
Mutter Bär, Herrin des Waldes! Honig um Deine Nase und Beute in Deine Pranken! Ich bin nur ein Nichts, schwach wie eine Maus, Deine Stärke ersehnend! Gewähre mir Dein dickes Fell, Deinen warmen Körper!
Schwindel überkam Derrien, seine Sicht verschwamm, alles begann sich zu drehen, seine Beine wurden schwach und wackelig. Seine Knochen streckten sich ruckartig in die Länge, seine Muskeln wucherten binnen eines Wimpernschlags auf doppelte Größe. Zotteliges Fell spross aus seiner Haut, während sich sein Schädel deformierte und die Zähne in seinem Kiefer zu den scharfen Reißzähnen eines Raubtieres wurden. Er fühlte, wie seine Gedanken zäh wurden und ebenso verschwammen wie das Bild vor seinen Augen, versuchte, sich dagegen zu sträuben, um die Kontrolle nicht zu verlieren …
Der Bär sah sich missmutig um. Es war kalt an diesem verschneiten Hang. Der schneidende Wind war sogar noch unter seinem dicken Winterpelz zu spüren. Warum war er nicht in einer Höhle? Was machte er hier draußen? Jagen? Verwirrt sah er sich mit seinen kleinen Augen um. Wenigstens gab es Beute. Vor ihm lagen mehrere Kreaturen auf dem Boden, ein paar von ihnen bereits tot, ein paar andere noch am Leben. Er witterte ihre Angst. In Erwartung des reichlichen Mahls floss Speichel in seinem Mund zusammen. Er erhob die Pranke…
… und ließ sie wieder sinken. Er durfte sie nicht töten. Nein. Irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen … Er musste … musste … sich auf sie legen? Das widersprach all seinen Instinkten, doch die befehlende Stimme in seinem Hinterkopf war zu stark. Verwirrt und hungrig legte er sich über die Kreaturen und versuchte, die Kälte zu ignorieren, die langsam aus dem Schnee kroch und durch sein dickes Fell drang.
»Für einen
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