Schattenfreundin
Frau hat gerufen. Von weiter hinten. Ich schätze, sie war im Haus, oder sie stand im Eingang. Ich habe sie jedenfalls nicht gesehen.«
»Und weiter?«, drängte Charlotte.
»Der Junge hat sich sofort umgedreht und ist verschwunden. Ich denke, er ist zum Haus gelaufen.«
»Und es war die Stimme einer Frau?«, fragte Käfer. »Sind Sie sich absolut sicher?«
Franke nickte übertrieben. »Ja. Die Stimme klang zwar ein bisschen dunkel und irgendwie anders …«
»Was meinen Sie mit anders? «, warf Charlotte ein.
Franke dachte nach. »Wie soll ich es beschreiben … wacklig … schwankend … Ich weiß nicht.« Er zuckte mit den Achseln.
Charlotte nickte. »Vielen Dank, Herr Franke. Sie haben uns sehr geholfen.«
Franke atmete erleichtert durch. »Dann kann ich jetzt weiterfahren? Es ist schon spät, und, wie gesagt, ich bin nicht gerne unpünktlich …«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte Käfer. »Meine Kollegin nimmt noch schnell Ihre Personalien auf, dann können Sie weiterfahren. Nochmals vielen Dank.«
Er entfernte sich ein paar Schritte, sah zum Haus hinüber und machte Charlotte schließlich ein Zeichen, näher zu kommen. »Seltsam«, sagte er, »der Hof ist eigentlich unbewohnt. Das Haus steht seit Jahren leer und wird zum Verkauf angeboten. Das hab ich vor unserer Abfahrt gecheckt. Wenn es stimmt, dass der Junge im Garten Leo ist, dann könnte die Frau, die gerufen hat, tatsächlich diese Tanja sein. Dann hätte sie sich hier mit dem Kind versteckt. In diesem Haus, für das sich keiner interessierte, dem keiner Aufmerksamkeit schenkte …«
Charlotte nickte. »Raffiniert.«
Zusammen beobachteten sie, wie Franke in seinen Kombi stieg und aus der Parkbucht fuhr. Wie auf Kommando wandten sie wieder den Blick und starrten in Richtung Bauernhaus.
»Dann wollen wir uns das mal genauer ansehen«, sagte Peter schließlich und ging los. Charlotte folgte ihm.
Während sie über die Straße gingen, warf sie rasch einen Blick auf ihr Handy. Zwei Anrufe in Abwesenheit. Mist! Katrin Ortrup hatte versucht, sie zu erreichen. Charlotte beschloss, sie gleich nach dem Einsatz anzurufen. Hoffentlich mit einer guten Nachricht.
Das Haus aus rotem Klinker, das zwischen den dicht stehenden Bäumen hervorlugte, war schon ziemlich baufällig. An mehreren Stellen bröckelte das Mauerwerk, zwei Fenster im Erdgeschoss waren mit Holzlatten vernagelt, bei dem im Giebel waren die Scheiben zerbrochen. Der große Garten, der sich zwischen Haus und Außenmauer erstreckte, sah verwildert aus. Riesige Farne und Brennnesseln wucherten über den schmalen Weg, der zum Haus führte.
Käfer versuchte, einen genaueren Blick durch den Garten zu werfen. »Wenn ich mich nicht täusche, liegt vor dem Haus Kinderspielzeug auf dem Rasen.«
Er schob die Pforte auf. Sie hing schief in den Angeln und schabte über den Boden.
Langsam gingen sie auf das Haus zu. Vor der großen Doppeltür blieben sie stehen. Das Holz war ausgeblichen und an mehreren Stellen abgesplittert. Eine Klingel gab es nicht.
Käfer warf einen ernsten Blick zu Charlotte, dann drückte er die Klinke hinunter. Verschlossen. »Dachte ich mir«, sagte er leise und hieb mit der Faust gegen die Tür. »Kriminalpolizei! Machen Sie auf!«
Keine Reaktion. Im Haus blieb es still.
Er hieb ein zweites Mal gegen die Tür. »Wir wissen, dass jemand da ist. Öffnen Sie die Tür, oder wir müssen sie aufbrechen!«
Wieder passierte nichts.
Noch einmal holte er aus, doch Charlotte hielt ihn am Arm fest. »Warte mal. Hörst du das?«
Sie sahen sich an. Tatsächlich. Die Stimme eines Kindes. Ganz leise nur, aber deutlich zu hören. Weinte es? Oder rief es nach jemandem?
»Los, wir gehen rein!«, sagte Charlotte und trat einen Schritt zurück, damit er die Tür auftreten konnte.
Routiniert zogen sie ihre Dienstwaffen, dann trat Käfer gegen die Tür. Die rechte Hälfte sprang auf und krachte gegen die Wand. Abgestandene Luft schlug ihnen entgegen.
»Kriminalpolizei!«, rief er in die Stille hinein. Aber bis auf die Stimme des Kindes war nichts zu hören.
Charlotte hielt die Luft an. Tatsächlich, es klang, als ob ein Kind weinen würde.
»Das kommt von oben«, sagte Käfer und stürmte in eine große Diele, an deren linker Wand eine Holztreppe hochführte bis auf eine Art Quergang, an dem drei Türen lagen.
Charlotte folgte ihm langsam und sah sich um. Auch wenn nur wenig Licht durch die Eingangstür hereinfiel, konnte sie erkennen, wie verwahrlost es hier aussah. Ein Schrank ohne
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