Schattenfreundin
lösen und die beiden anschauen. Mit tauben Lippen sagte sie: »Ich habe eine Mail bekommen. Von Alekto .«
Charlotte saß auf dem Beifahrersitz und versuchte, sich auf Peters Erklärungen zu konzentrieren. Immer wieder wanderte ihr Blick zur Seite. Goldgelbe Kornfelder, die noch nicht gemäht waren, und grüne Wiesen und Weiden zogen am Fenster vorbei, davor ein schier endloser schmaler Wassergraben und, wie aufgestellt in Reih und Glied, knorrige alte Bäume.
»Ein Ludger Franke, Vertreter für landwirtschaftliche Geräte, hat angerufen. Er ist heute Morgen von Münster aus losgefahren. Auf einem Bauernhof bei Altenberge hat er zufällig einen Jungen gesehen, der Leo sehr ähnlich sieht«, sagte Käfer. »Er wartet auf einem Parkstreifen gleich hinter dem Ortsausgang.«
Charlotte nickte nur und zwang sich, geradeaus zu sehen. Es fiel ihr schwer, denn in ihrem Kopf herrschte immer noch ein großes Durcheinander. Erst vor einer halben Stunde war sie schweren Herzens aufgestanden und hatte sich aus ihrer eigenen Wohnung geschlichen. Sie hatte Bernd schlafen lassen, aber nicht, weil sie ihm aus dem Weg gehen wollte, sondern weil er so friedlich in ihrem Bett gelegen hatte. Und irgendwie hoffte sie, dass er heute Abend noch genauso daliegen würde.
»… hörst du mir eigentlich zu?«, drang Käfers Stimme plötzlich zu ihr.
Charlotte erschrak und sah zu ihm hinüber. »Ja ja, natürlich. Entschuldige bitte …«
»War wohl ’ne anstrengende Nacht, oder?« Er grinste breit.
»Blödmann!« Charlotte musste gegen ihren Willen lachen. »Jetzt red schon.«
»Bei der Überprüfung des Namens Alekto sind wir endlich weitergekommen«, sagte er. »Jedenfalls könnte es eine interessante Spur sein. In den neunziger Jahren gab es hier in Münster einen Nachtclub mit dem Namen Casa Alekto , in dem Thomas Ortrup zu Studentenzeiten gerne gefeiert hat. Leider hat der Laden längst zu, aber die Kollegen bemühen sich gerade, den früheren Besitzer ausfindig zu machen.«
»Das könnte in der Tat interessant sein«, sagte Charlotte. Sie sah auf die Uhr. »Wie lange dauert das denn noch?«
»Nicht mehr lange«, sagte Käfer. »Zehn Minuten höchstens.«
Charlottes Gedanken wanderten wieder zu Bernd. Seltsam, zum ersten Mal bedauerte sie, dass die Nacht irgendwann zu Ende gewesen war. Früher hatte sie sich immer leicht und beschwingt gefühlt, wenn es vorbei gewesen war nach einem heißen Date. Aber diesmal? Bernd war der perfekte Liebhaber gewesen. Er hatte einen fantastischen Körper, muskulös und durchtrainiert, dabei eine Haut, die so makellos war, wie sie es bei einem Mann noch nie erlebt hatte … Charlotte erschrak. Sie merkte, dass sie gerade dabei war, sich selbst zu belügen. Nein, es ging gar nicht um Bernds Qualitäten als Liebhaber. Es ging um etwas ganz anderes. Es ging um dieses ungewohnte wunderbare Gefühl, dass da plötzlich jemand war, der es schaffte, etwas in ihr zum Schwingen zu bringen.
»… könnte das eine wichtige Spur sein«, hörte sie Peter sagen. »Wenn Ortrup Gewalt anwendet gegen Frauen und sie sexuell nötigt, könnte hier das Motiv für die Entführerin liegen. Vielleicht war sie sein Opfer …«
»Da könntest du recht haben«, sagte Charlotte. Sie musste jetzt endlich aufhören, über die letzte Nacht nachzudenken. Das ist unprofessionell, schalt sie sich. Schließlich ging es um ein entführtes Kind. Da musste sie hochkonzentriert sein.
Plötzlich klingelte ihr Handy. Sie zog es aus ihrer Tasche und sah aufs Display. Bernd. Scheiße. Nein, nicht jetzt. Schnell drückte sie das Gespräch weg und machte das Handy aus.
»Ist was?«, fragte Peter.
»Nein, nichts«, sagte Charlotte hastig.
Ihr Kollege hob eine Augenbraue. »Also gut. Wenn wir heute nicht weiterkommen, solltest du vielleicht noch mal mit der Gerber reden«, sagte er. »Ich will wissen, ob die Frau die Wahrheit sagt.«
»Mach ich.«
Kurz darauf hatten sie Altenberge erreicht. Sie bogen ab von der Bundesstraße und fuhren durch den Ort. Schnell hatten sie das Ortsende erreicht. Nach etwa hundert Metern tauchte auf der rechten Seite ein allein stehendes Bauernhaus auf, schräg gegenüber zog sich ein Parkstreifen neben der Straße entlang. Dort parkte nur ein Auto, ein dunkelblauer Passat Kombi.
»Das muss er sein«, sagte Käfer.
Sie fuhren auf den Parkstreifen und hielten hinter dem anderen Wagen. An der Motorhaube lehnte ein Mann mittleren Alters. Er trug einen altmodischen braunen Cordanzug. Auch seine dickrandige
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