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Schattenfreundin

Schattenfreundin

Titel: Schattenfreundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Drews
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Türen, aus dem irgendwelche Kleidung hervorquoll, stand unten an der rechten Wand, Mülltüten stapelten sich daneben, überall auf dem Boden lag Dreck, Putz fiel von den Wänden. Dazu stank es modrig und ekelhaft süßlich nach Schimmel und abgestandener Luft.
    »Charlotte? Hier oben!«
    Sie nickte und ging weiter die Treppe hoch. Vorsichtig legte sie die Hand aufs Geländer, ließ es aber sofort wieder los, als es anfing, gefährlich zu wackeln.
    Käfer hatte die mittlere der drei Türen geöffnet. Er hielt sein Handy ans Ohr und sprach gerade mit dem Notarzt. Als Charlotte auf ihn zuging, nickte er in Richtung der offenen Tür. Das Weinen hatte aufgehört.
    »Ein kleiner Junge«, raunte er ihr zu. »Sieht schlimm aus. Aber es ist eindeutig nicht Leo Ortrup. Der da drin ist schon älter. Sieh selbst.« Er trat zur Seite.
    Charlotte ging langsam näher. Durch den Türrahmen konnte sie braune Kacheln erkennen. Nicht die Badewanne!, schoss es ihr durch den Kopf. Bitte nicht die Badewanne! Sie spürte, wie der Hals sich ihr zuschnürte.
    Als sie auf der Schwelle stand, schlug ihr Herz so stark, dass sie fürchtete, es würde jeden Augenblick zerplatzen. Als Erstes fiel ihr auf, dass die Kacheln schmutzig waren und dass graue Stockflecken in den Fugen saßen. Danach registrierte sie den rostigen Wasserhahn, aus dem sich regelmäßig kleine Tropfen lösten, und erst dann sah sie den kleinen blonden Jungen in der Wanne, der gedankenverloren mit einem kleinen Badeschiff spielte, plötzlich den Kopf hob und sie mit verweinten Augen ansah.
    Charlotte merkte, wie ihre Beine zu zittern begannen. Da waren sie wieder, die Schreie, laut und grell. Die Schreie, die vor über dreißig Jahren ihr Leben verändert hatten und die sie jeden Tag von Neuem zu vergessen versuchte. Sie hielt sich am Türrahmen fest und zwang sich, ruhig ein- und auszuatmen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Käfer.
    Charlotte schüttelte den Kopf. »Nein«, brachte sie mit zitternder Stimme hervor.
    »Du solltest jetzt zu dem Kleinen gehen«, sagte er leise. »Schaffst du das?«
    Wieder schüttelte sie den Kopf. »Er muss aus der Badewanne«, sagte sie stockend. »Bitte, hol ihn da raus!«
    Charlotte ging rückwärts auf den Gang und lehnte sich neben der Tür an die Wand. Sie wusste, dass sie sich gerade merkwürdig verhalten hatte und dass das Fragen nach sich ziehen würde. Aber sie konnte es nicht ändern. Sie sah die alten Bilder, hörte die längst verstummten Schreie, spürte wieder die Panik. Und die große Schuld. Die alles erdrückende Schuld.
    Peter schüttelte den Kopf. Dann ging er zu dem Jungen.
    »Hey, du wirst ja schon ganz schrumpelig«, hörte Charlotte ihn sagen. »Komm mal besser raus.«
    Wenig später tauchte er wieder auf, den Jungen auf dem Arm, eingewickelt in ein buntes Badetuch. Er trug ihn zu Charlotte und gab ihn ihr. »Ich gehe schon mal runter«, sagte er und warf ihr einen langen Blick zu, dann wandte er sich ab.
    Sie schluckte. »Hi, ich heiße Charlotte«, sagte sie leise und zwang sich zu einem Lächeln. »Und wie heißt du?«
    Der kleine Junge starrte auf seine Füße, die unter dem großen Handtuch hervorlugten. »Paul«, sagte er schließlich.
    Charlotte spürte, dass der Junge zitterte. »Wo ist denn deine Mama?«
    »Die schläft.«
    »Jetzt noch? Es ist ja schon hell, und die Sonne scheint.«
    Noch immer starrte der Junge auf seine Füße. »Die Mama ist oft müde.«
    »Und warum warst du in der Badewanne? Das Wasser war ja schon ganz kalt.«
    »Die Mama hat gesagt, ich bin schmutzig.« Er sah Charlotte mit großen Augen an. »Ich sollte gestern baden, aber da war die Mama zu müde. Da bin ich erst heute in die Badewanne. Am Anfang war das Wasser schön warm, aber dann ist es immer kälter geworden … Aber die Mama schläft doch! Da kann ich sie doch nicht wecken …«
    Charlotte musste schlucken. Was musste dieses Kind alles ertragen! Wie tapfer es war! Und sie? Sie ließ sich immer noch einschüchtern von den uralten Geschichten aus ihrer Kindheit.
    »Der Notarzt ist gleich da!«, rief Käfer zu ihr hoch.
    Charlotte atmete erleichtert auf. »Jetzt darfst du gleich mit einem Polizeiauto fahren, so richtig mit Tatütata!«
    Erstaunt sah der Junge sie an. »Aber ich kann doch meine Mama nicht allein lassen«, sagte er und versuchte, sich aus Charlottes Armen zu winden. »Mama! Mama!«, rief er laut.
    Plötzlich hörte sie ein Poltern. Es kam aus einem der anderen Zimmer, und es klang, als wäre jemand zu Boden

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