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Schattenfreundin

Schattenfreundin

Titel: Schattenfreundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Drews
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Kontakt zu deinen Eltern?«, fragte Peter. »Du erzählst nie von ihnen.«
    Charlotte erschrak. Konnte ihr Kollege Gedanken lesen? »Nein! Das will ich auch nicht!«, entfuhr es ihr.
    Er warf ihr einen überraschten Blick zu. »Entschuldige. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.«
    Charlotte schüttelte den Kopf. Sie ärgerte sich über sich selbst. Wie konnte sie nur so abweisend sein! Ausgerechnet Peter gegenüber. »Nein, nein, schon gut. Es tut mir leid. Ich bin da einfach ein bisschen empfindlich. War nicht dein Fehler.«
    Natürlich hatte sie schon mal darüber nachgedacht, ob sie nicht wieder Kontakt aufnehmen sollte zu ihrer Mutter. Sie wusste einfach nicht, wie sie sich entscheiden sollte. Irgendwann hatte sie sich entschlossen, ganz ohne Familie zu leben. Ihre beiden Geschwister sah sie höchstens ein Mal im Jahr, meist telefonierten sie nur miteinander, höflich, aber distanziert. Und ihre Pflegeeltern? Sosehr sie sie auch gemocht hatte, sie hatte sie nie als ihre Eltern angesehen, eher als Lieblingsonkel und Lieblingstante.
    Auch von ihren Geschwistern wusste keiner, was aus der Mutter geworden war. Nachdem das Jugendamt ihr das Sorgerecht entzogen hatte und die Kinder bei Pflegeeltern untergebracht worden waren, hatte es keinen Kontakt mehr gegeben.
    Für sie und ihre Geschwister war es damals unmöglich gewesen, die Mutter ausfindig zu machen. Zum einen waren sie noch viel zu klein, zum anderen war es schwierig gewesen, an Informationen zu kommen. In Zeiten, in denen es noch kein Internet gab, war das Jugendamt die einzige Auskunftsquelle gewesen. Und ihr zuständiger Sachbearbeiter hatte den Standpunkt vertreten, dass die Kinder sich erst einmal in Ruhe bei den Pflegeeltern einleben sollten.
    Ihr Vater hatte schon lange vor Stefans Tod die Familie verlassen und irgendwo in Spanien ein neues Leben begonnen. Seine Kinder hatte er offensichtlich vergessen. Sie konnten ihn noch nicht einmal über Stefans Tod informieren, da keiner wusste, wo er steckte.
    Und ihre Mutter? Auch sie hatte sich nie wieder gemeldet. Hätte sie nicht wenigstens mal anrufen können?
    Lange Zeit war jeder Gedanke an ihre Eltern mit Wut und Ohnmacht behaftet gewesen.
    Heute sah Charlotte das mit anderen Augen. Wie musste es für ihre Mutter gewesen sein, als ihr Mann sie wegen einer Jüngeren verließ und sie mit vier kleinen Kindern allein dastand? In den Siebzigerjahren war das bestimmt kein Zuckerschlecken gewesen. Charlotte erinnerte sich vage daran, wie die meisten Freunde sich zurückgezogen hatten, wahrscheinlich weil sie davon überzeugt waren, dass ihre Mutter selbst schuld war an ihrer Situation. Deshalb hatte sie wohl auch angefangen zu trinken.
    »An meinen Vater kann ich mich nicht mehr erinnern«, sagte Charlotte schließlich. »Und zu meiner Mutter habe ich keinen Kontakt mehr, seit ich bei Pflegeeltern gelebt habe.« Sie sah aus dem Fenster. »Vielleicht sollte ich mal versuchen, ihre Adresse herauszufinden«, fügte sie hinzu. »Ich weiß nicht …«
    »Man hat nur eine Mutter«, sagte Käfer. »Sorry, ich wusste nicht, dass es ein heikles Thema für dich ist.«
    Charlotte nickte nur. »Da vorne ist es«, sagte sie und zeigte auf ein Schild, das zum Gemeindehaus wies.
    Wenig später betraten sie gemeinsam den roten Klinkerbau. Der graue Linoleumboden glänzte frisch geputzt, und an den Wänden hingen Fotos von Gemeindefesten und Kirchenjubiläen. Neben dem Raum, in dem der Bibelkreis tagte, fanden sie die Tür mit dem Schild Bittersüß .
    »Kommen Sie herein«, sagte der Leiter der Gruppe, ein freundlicher Mann jenseits der sechzig mit vielen Lachfalten und einem weißen Vollbart. Charlotte fühlte sich an den Weihnachtsmann erinnert.
    In dem hellen Raum waren gut zwanzig Personen unterschiedlichen Alters versammelt. Neben einer gepflegt aussehenden Mittvierzigerin mit teurem Schmuck und Louis-Vuitton-Tasche saß eine vielleicht zwanzigjährige Frau, die Charlotte unwillkürlich an die Kevin-Mandy-Gegend erinnerte, von der die Leiterin des Kindergartens gesprochen hatte. Sie hatte ihre gelb gesträhnten Haare zu einem viel zu hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Und ihr knallenges Top zeigte mehr, als es verbarg: vor allem ihre Tätowierungen, die sich großflächig über beide Arme zogen.
    Nur drei Männer waren in der Gruppe. Engagement in Selbsthilfegruppen scheint Frauensache zu sein, dachte Charlotte.
    Der Gruppenleiter, mit dem Peter telefoniert hatte, stellte sie vor und erklärte den anderen, weshalb die

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