Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
gesegnet war als er. Während er auf die Jahre zurückblickte, überdachte er die Mischung aus Überzeugung und Rebellion, die ihn dazu getrieben hatte, seinen Vater zu zwingen, die Magie in ihm anzuerkennen.
»Als Ihr Vater Sie enterbte, habe ich ihn bei diesem Entschluss unterstützt. Als er Sie wieder als Erben einsetzte, wusste ich, dass er dazu gezwungen worden war. Als Sie die Baronie erbten, habe ich an den Erzherzog geschrieben und ihn gedrängt, den Erbfolgeerlass nicht zu unterzeichnen.«
»Ich wusste es damals«, sagte Ishmael. »Ich habe vollauf damit gerechnet, dass Sie mich beim ersten Treffen von Ihrem Land jagen würden.«
»Ich habe es in Erwägung gezogen«, erwiderte Stranhorne, »obwohl alles, was ich über Sie gehört hatte, für Sie sprach. Es sind die Tugenden der Magier und das Gute, was sie tun, das die Menschen dazu verleitet, die Beweise der Geschichte abzutun – und so wiederholt sich der Zyklus. Wann werden Sie zurück sein?«
Diese plötzliche Frage traf Ishmael unvorbereitet. »Ich werde«, er räusperte sich, »daran arbeiten, mich zu befreien, sobald wir Ihre Tore passiert haben – darauf können Sie sich verlassen. Wenn ich in die Stadt zurückgebracht werde, wird Vladimer mir den Rücken decken und aussagen, dass ich ihm nichts Böses wollte.«
Obwohl das bei einer Anklage wegen Hexerei und dem Verdacht, Vladimer beeinflusst zu haben, vielleicht nicht so nützlich sein würde, wie es sonst gewesen wäre. »Aber sollte sich etwas an der Situation hier ändern, wird sich auch meine verändern.«
Stranhorne stellte sein Glas beiseite und nahm Ishmael das seine ab. »Ich denke, unsere zehn Minuten sind um. Ich habe nach Jeremiah Coulter vom Bahnknoten geschickt, um den Haftbefehl zu überprüfen. Wenn er irgendeine Lücke aufweist, wird er sie finden.«
Ishmael
Die Stranhornes hatten es geschafft, Mycene im Ballsaal festzusetzen. Allerdings klang Laurels besänftigende Konversation bereits etwas angespannt, als Stranhorne und Ishmael durch die Tür traten. Ishmaels Verfolger stand fast Nasenspitze an Nasenspitze mit der Dame, obwohl er sich im Nachteil befand, da er gute fünfzehn Zentimeter weniger maß als sie. Sein Gesicht war wegen seiner Asymmetrie eher ungewöhnlich: ein Wangenknochen merklich höher und schmaler als der andere, ein Auge stand leicht versetzt zum anderen, und die Nase war durch einen alten Bruch ein wenig verrutscht. Sein schönes und glattes Haar hatte er von seiner hohen Stirn zu einem Zopf zurückgebunden, der in den Kragen reichte. Er trug einen schweren, zum Reiten geteilten Mantel von höchster Qualität und gut frottierte Reithosen. Auf der einen Hüfte saß ein Holster und auf der anderen die Scheide eines langen Messers.
Ein halbes Dutzend seiner Männer lümmelte sich an den Wänden oder saß herum – erfahrene Soldaten, die ihre Kräfte für den Ernstfall schonten. Die Übrigen mussten weggeschickt worden sein, damit sie sich um die Pferde kümmerten. Dr. Balthasar Hearne stand ein wenig abseits, ausgezehrt, müde von der Reise und bis auf eine zu große Jacke im Stil der Grenzlande immer noch so gekleidet, wie Ishmael ihn zurückgelassen hatte. Aber er lebte und war anscheinend unverletzt.
»Ishmael di Studier«, forderte Mycene ihn heraus. »Ich habe einen Haftbefehl gegen Sie wegen der Ermordung meiner Verlobten Tercelle Amberley und wegen des Verdachts auf Hexerei gegen Fürst Vladimer Plantageter.« Ishmaels Kopf zuckte zu einem Mann herum, der mit verschränkten Armen und zynischem Gesichtsausdruck an der Wand lehnte. Hätte er diesen Mann nicht gekannt, hätte Ishmael ihn für einen Schmuggler gehalten. Angeblich war er das in seiner Jugend auch gewesen. Nichts lehrt einen klugen Mann das Gesetz so gut wie die Notwendigkeit, es zu umgehen. Als Jeremiah Coulter Stranhornes und Ishmaels Peilruf spürte, schüttelte er schwach den Kopf; der Haftbefehl war wasserdicht.
Wie Stranhorne gesagt und Ishmael es erwartet hatte. Der Brandy, seine Unterhaltung mit Stranhorne oder die Mischung aus beidem hatte ihn hinreichend betäubt, sodass ihm das »Ich ergebe mich in Ihre Hände« gelassen über die Lippen kam. Trotzdem war er froh, dass sich Lavender im Keller aufhielt. Laurel kaute auf ihrer Unterlippe.
Mycene wirkte verblüfft wie ein Mann, der heftig gegen ein vorgebliches Hindernis anstürmte, nur um festzustellen, dass es nachgab. »Gut«, sagte er. »Übergeben Sie Ihre Waffen. Wir reisen nach Norden.«
»Sie werden vor morgen keinen
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