Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
Zug bekommen«, mischte sich Stranhorne in das Gespräch ein. »Bis Sie den Bahnhof erreicht haben, wird der heutige Zug gen Norden bereits abgefahren sein.«
»Dann reiten wir«, erklärte Mycene.
Mit einem leisen Seufzer taumelte Balthasar Hearne und glitt in tiefer Ohnmacht zu Boden. Angesichts eines solch unmännlichen Verhaltens folgte ein leicht verlegenes Schweigen, dann ließ sich Laurel vorsichtig neben ihm auf die Knie nieder und fühlte seinen Puls. Vor ihrer Schwangerschaft hatte der Arzt der Strumhellers sie wegen ihres kühlen Kopfes, ihrer ruhigen Hand und des bereitwilligen Verstehens angespannter Befehle regelmäßig als seine Assistentin engagiert.
»Der Mann ist erschöpft«, berichtete sie. »Er wird heute nicht weiterreisen, es sei denn, in einer Kutsche.«
Voller Abscheu schüttelte Mycene den Kopf. »Dann nehmen wir eben eine Kutsche.«
Stranhorne sagte: »Sie haben vielleicht noch vier Stunden bis zum Sonnenaufgang, dann werden Sie sich in den inneren Grenzlanden befinden. Ich schätze, es wird möglich sein, in einem der Haushalte Quartier zu finden, aber dann haben Sie – wie viel? – bestenfalls weitere zehn Stunden in der nächsten Nacht. Eine Kutsche würde Sie noch mehr aufhalten. In Anbetracht der Ausweitung des herzoglichen Befehls denke ich, dass ich mich vollkommen im Rahmen meiner Rechte bewege, wenn ich Ihnen die vierzehn oder fünfzehn Pferde aus meinen Ställen verweigere, bis diese Krise vorüber ist, Haftbefehl hin oder her.«
Sein Anwalt zeigte ein Grinsen, das ihm Ähnlichkeit mit einem Seeräuber verlieh.
»Ich biete Ihnen die Gastfreundschaft meines Haushalts bis zum morgigen Abend an«, fuhr der Baron in besonnenem Ton fort. »Wir bringen Sie und Ihre Gefangenen zum Bahnhof, wo Sie den Zug zum Endbahnhof Sommerhaus nehmen können und dann den ersten Tageszug nach Minhorne.«
Boris schaffte es nicht, sein Entsetzen zu verbergen – so wenig, wie er sein Gesicht unter Kontrolle hatte, war es kein Wunder, dass seine Schwestern ihm beim Kartenspiel stets die Taschen leerten. Ishmael zeigte sich beeindruckt von Stranhornes Mut und gleichzeitig alarmiert wegen des Risikos, das er einzugehen bereit war. Tat er es um Ishmaels willen? Mit einem Keller voller Munition und der kühnen Verschwörung, die Inseln zu unterstützen, hätte Ishmael seine Feinde so schnell wie möglich zur Haustür hinausbugsiert, ob es sich nun schickte oder nicht. Vielleicht hoffte Stranhorne aber auch, ihr zutiefst beunruhigendes Gespräch fortsetzen zu können.
Ishmael wäre es lieber gewesen, wenn man ihn in Ketten gelegt nach Norden geschleppt hätte.
»Ich nehme Ihre Einladung an«, lenkte Mycene säuerlich ein. »Aber ich werde einen Wachposten für beide Männer abstellen. Di Studier ist wegen Mordes und des Verdachts auf Hexerei verhaftet und Hearne wegen Komplizenschaft. Und ich werde Sie wegen Beihilfe drankriegen, wenn nicht beide Männer morgen im Zug Richtung Norden sitzen.«
»Das Risiko, ihn hier einzuquartieren, war geringer als seinen Verdacht darauf zu lenken, was wir wohl verstecken«, murmelte Stranhorne Ishmael einige Minuten später auf der Treppe zu. Bis zur vierten Treppenflucht hatten sie ein wenig Abstand zwischen sich und Mycenes Wachposten gelegt, der einen harten Ritt hinter sich hatte. »Wir werden ihn und seine Männer mit reichlich Essen und Wein versorgen und sicherstellen, dass sie sich im Haus nicht verlaufen und auf verschlossene Türen stoßen. Und wir wissen auch, wen wir von ihnen fernhalten müssen.«
»Und Sie geben Ihrer Frau die Schuld an Lavenders Veranlagung.«
Stranhorne bedachte ihn mit einem schwachen Lächeln. »Natürlich. Es ist Laurel, die ganz nach mir kommt. Wir werden kurz nach der Sonnenaufgangsglocke speisen.«
Balthasar Hearne saß aufrecht im Bett, als Ishmael hereinkam. Stranhorne hatte Mycene überredet, die Wachen außerhalb der Räume zu postieren, die sich seine Gefangenen teilen sollten. Balthasar war bis auf seine Jacke und Stiefel noch immer voll bekleidet und hatte sich eine Decke übergelegt. Er wirkte müde, aber durchaus wachsam. Er wartete, bis Ishmael die Tür geschlossen hatte, dann sagte er beschämt: »Es war das Einzige, was mir eingefallen ist, um sie aufzuhalten. Alles andere hatte ich bereits erschöpft.«
»Es war überzeugend«, räumte Ishmael erleichtert und insgeheim erheitert ein. Verflucht! Ein Mann, der sich nach einer verheirateten Frau sehnte, sollte auf keinen Fall ihren Ehemann mögen.
»Nicht
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