Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
zerquetschst sie nicht in der Zwischenzeit und vergrößerst noch den Skandal, den ihr beide über unsere Familie gebracht habt.«
Sie verließ hastig den Raum. Merivan war nie gern in Gesellschaft, wenn sie weinte.
»Bal«, murmelte Telmaine, »ich muss atmen.«
Sein Griff lockerte sich, aber dann änderte sie abrupt ihre Meinung und schlang die Arme um ihn. »Ich habe geglaubt, du seist tot«, flüsterte er an ihrem Hals. Durch ihre Berührung las sie seine Gedanken, und seine Erinnerungen prasselten wie Jetons auf sie herab: Der abscheuliche Junge, der auf ihrem Tod beharrte, der Erzherzog, der es nicht zu bestreiten vermochte, wie Balthasar den Sonnenaufgang überschritt, Floria … Sie schnappte aus eifersüchtigem Schock nach Luft. »Warum hat der Erzherzog es dir nicht erzählt ?« , fragte sie scharf. »Vladimer sagte, er handle auf seine Befehle hin. Stimmte das nicht?«
»Doch. Er hat seine Aufgabe, deinen Tod zu inszenieren, lediglich zu gut gemacht, indem er Asche benutzte und dich dazu brachte, deinen Schmuck zurückzulassen.«
»Oh, hast du ihn?« Es schien ihr höchst wichtig zu sein, dass sein silberner Liebesknoten wieder in der Kuhle an ihrem Hals ruhte und seine Ringe an ihren Fingern steckten, allesamt aufgelesen aus der Asche ihres vorgetäuschten Todes. Er holte sämtliche Schmuckstücke aus seiner Brusttasche, legte ihr stumm die Kette um den Hals und schob die Ringe auf ihre Finger. Sie erinnerte sich daran, wie kalt seine Hände bei der Hochzeitszeremonie gewesen waren, und wie die vornehme Hochzeit ein Martyrium für den schüchternen jungen Arzt gewesen war. Seine Hände schienen jetzt nur unwesentlich wärmer zu sein. Außerdem stanken sie nach lichtgeborener Tinte.
Seine Gedanken waren bekümmert, vielschichtig und fast zusammenhangslos – aber sie spürte sehr wohl sein Glück und seine tiefe Erleichterung darüber, dass er sie zurückhatte. »Was hast du gemacht, Balthasar, und warum hast du diese Verhexung an dir?«
»Ich fungiere am lichtgeborenen Hof als persönlicher Gesandter des Erzherzogs. Es wird wahrscheinlich eine Daueranstellung werden.«
Bevor sie die Gedanken hinter diesen Worten erfragen konnte, schwang die Tür auf, und ein Chor von »Mama, Mama, Mama!« erklang. Balthasar hielt den Ansturm ihrer Töchter gerade lang genug auf, um Amerdales Kätzchen zu retten, bevor sich Florilinde und Amerdale, die nur zwei Hände und ein Knie hinter ihrer Schwester folgte, auf Telmaine stürzten.
Amerdale bekam die ersten Worte heraus. »Mama, du hast meinen Geburtstag verschlafen!«
Florilinde korrigierte sie mit der ganzen Autorität des einen Jahres, das sie älter war als ihre Schwester. »Sie hat nicht geschlafen, sie war sehr krank. «
»Hast du ein Baby bekommen?«
»Amerdale!«, rief Merivan schockiert.
Telmaine verzichtete auf ihre mütterliche Verantwortung zu berichtigen und zu leiten, vergaß ihre Sorgen um ihren Ehemann und schüttelte sich einfach vor Lachen. Balthasar verzog keine Miene, wiegte das Kätzchen in der einen Hand und streichelte es mit der anderen. Das winzige Maul öffnete und schloss sich, aber sein Miauen ging in dem Lärm unter. Der Raum füllte sich: Merivan, die Witwe Herzogin Stott, die ihre Tochter das letzte Mal gepeilt hatte, als man sie zu ihrer Hinrichtung führte, ihr schwerfälliger älterer Bruder, der amtierende Herzog Stott, ihre flatterhafte jüngere Schwester, Anarysinde, ihre anderen Brüder …
»Ich habe nicht genug Ausdauer, um krank zu sein«, beklagte sich Telmaine, nachdem die Witwe schließlich alle hinausgescheucht hatte – wie sie ihre Familie kannte, standen sie kurz vor dem Punkt, an dem die Feier in gegenseitige Schuldzuweisungen umschlug. »Ich könnte all diese Besucher nicht unterhalten.«
Das Verlassen des Bettes war leichter verkündet als geschafft. Telmaine erschrak, als sie feststellte, wie viel Unterstützung sie brauchte, um auch nur den Sessel zu erreichen. Balthasar gelang es zwar angesichts ihrer Frustration, seine Mundwinkel einzuziehen, aber nicht, das Lächeln selbst zu verbergen.
»Und um wie viele Kätzchen hat Amerdale dich beschwatzt, die sie behalten darf?«, fragte sie, sobald sie saß.
»Nur drei. Eins für sie, eins für Flori und eins für mich.« Es war das Gleichmaß einer Sechsjährigen, die gewissenhaft und gerecht jedem seinen Anteil zuwies. »Es ist auch noch eins für dich da, wenn du es möchtest. Natürlich können wir, wenn wir dieses auch noch nehmen, das letzte aus dem
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