Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
»dieser Mann ist noch stärker, als mein Großvater es war, und er hat keine Kontrolle mehr über seine Macht. Es ist nicht als Bestrafung gedacht, sondern es geht um unser aller Sicherheit.«
Der lichtgeborene Prinz war noch jung und konnte seine Gedanken nicht gänzlich verbergen, obwohl Balthasar ihn nicht gut genug kannte, um zu erraten, was genau in ihm vorging. Aber wenn er zum Maßstab nahm, wie der Tempel mit Balthasar umgegangen war, würde es mehrere Ebenen von Beweggründen geben, und eine davon hieß Macht.
Jovance sagte sanft: »Fejelis, Tam lebt noch.«
Fejelis blinzelte einige Male und schaute über ihre Köpfe hinweg, entschied sich aber, ihr nicht zu antworten. An Balthasar gewandt fragte er: »Wie werden die Nachtgeborenen darauf reagieren?«
»Farquhar Broome wird verstehen, dass es notwendig ist«, sagte Magistra Valetta. »Die Übrigen … sind nicht stark genug, um uns Schwierigkeiten zu bereiten.«
Balthasar verstand nur die Hälfte, aber was er verstand, klang nicht gut. »Baron Strumheller ist ein Edelmann aus dem nachtgeborenen Reich. Bitte unterschätzen Sie nicht die Reaktion des Erzherzogs und der Aristokratie.« Was einerseits beträchtlich übertrieben war, aber andererseits auch nicht. Die Aristokratie mochte sich nicht darum scheren, was aus Ishmael wurde, aber sie würden sich ungemein um den Grundsatz scheren, dass hier der Zuständigkeitsbereich des Sonnenuntergangs überschritten wurde.
»Gesandter Hearne«, sagte Magistra Valetta. »Diese Angelegenheit fällt in den Bereich der Magie.«
Floria schloss ihre Hand fest um seinen Arm. Er erkannte einen warnenden Griff, wenn er ihn spürte. Trotzdem antwortete er: »Wie ich Ishmael di Studier kenne, würde er Ihnen freiwillig gestatten, ihn mit einem Bann zu belegen, bis er seine Magie beherrschen kann, falls er tatsächlich eine Gefahr für alle darstellte. Er ist äußerst prinzipientreu, durch und durch loyal und hat seine Magie ausschließlich benutzt, um zu heilen und zu beschützen.«
»Es geht nicht um die Absichten des Mannes … « Sie brach plötzlich ab.
Jovance rief drängend: »Fejelis!« Der Prinz fuhr herum, ließ sich neben sie fallen und fing sie auf, als sie nach hinten kippte. Balthasar spürte Magie um ihn herum aufwallen, brodelnd und chaotisch, und sie erinnerte ihn an den Tod, den Sebastiens Berührung in sich getragen hatte.
»Komm mit mir«, befahl Floria ihm rau. Auf der anderen Seite des Prinzen hob Lapaxo den Kopf. Floria, wachsam wie immer, reagierte auf seinen Blick. »Wenn diese Verhexung von ihm abfällt, ist er ein toter Mann.« Sie wartete nicht auf eine Erlaubnis und ging. An der Tür hielten drei Leibgardisten sie auf. Floria sagte: »Tragen Sie ihn«, und Balthasar spürte, wie er von zwei größeren Leibgardisten von den Füßen gehoben wurde.
»Wohin?«, fragte einer.
»In den Übungsraum.«
Im Laufschritt passierten sie Flure und Treppen, sein Sonar erfasste kaum etwas auf dem Weg. Gerüche von frischem Brot, gewaschener Wäsche und alten Socken rauschten an ihm vorbei. Schlitternd kamen sie vor einer Tür zum Stehen. Floria riss sie auf, und er wurde hineingeworfen. Dumpf und schmerzhaft hart landete er auf dem nackten Boden. Die Tür krachte zu. Er hörte, wie Floria seinen Namen rief, nahm aber nur die tödliche und unzusammenhängende Magie wahr, als sie am Leben jedes magischen Wesens in der Stadt, vom stärksten bis zum bedeutungslosesten, zerrte. Sein letzter bewusster Gedanke war: Telmaine …
11
Telmaine
»Nun«, war das Erste, was Telmaine hörte, »mir fehlen wirklich die Worte.«
Die Stimme gehörte Telmaines herrischer älterer Schwester Merivan. Doch Merivan befand sich in der Stadt, wo Telmaine sie zurückgelassen hatte. Sie konnte nicht hier sein.
»Das wäre eine Premiere«, flüsterte Balthasar, dessen Atem durch Telmaines Haar strich.
Sie drehte den Kopf in die Richtung, aus der seine Stimme kam, und spürte im gleichen Moment die Präsenz von Magie, die seine vertraute Lebenskraft umhüllte. Was war mit Balthasar? »Bal?«
Seine Antwort bestand darin, sie mitsamt Bettdecken und allem anderen an sich zu ziehen und ihren Kopf an seinen Hals zu betten. Er überließ ihr völlig offen und ungehemmt seinen Geist, wogegen sie murmelnd ebenso protestierte wie gegen die Heftigkeit seiner Umarmung.
»Ich sollte Mutter berichten, dass Telmaine anscheinend aufgewacht ist«, sagte Merivan über ihre Köpfe hinweg. »Vorausgesetzt«, fügte sie hinzu, »du
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