Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
schattengeborenen Bollwerk und Ishmael hinweg. Sebastien hielt nichts von seiner Magie und seiner zornigen, jungen Lebenskraft zurück. Ishmael war ausgelaugt und der Macht des Jungen sowie seiner eigenen schutzlos ausgeliefert. Telmaine spürte, wie Sebastiens Feuer um ihn herum aufloderte und sich die tödliche Magie an Ishmael mästete.
Sie reagierte, ohne nachzudenken, und stellte ihre Lebenskraft zur Verfügung, um einmal mehr seine zu speisen. Magie ergriff sie, wie der Schattengeborene es getan hatte, aber diesmal war es Ishmaels. Sie wehrte sich, wie sie sich damals gewehrt hatte, aber sie war ihm völlig unterlegen. Sie spürte, wie seine Lebenskraft sich gegen die tödliche Magie auflehnte und die Hitze seiner Macht anschwoll, aber jetzt erschien sie ihr gänzlich unvertraut. Da war nichts mehr von dem Mann, den sie liebte. Sie erinnerte sich wieder an sein Gesicht in ihrem Traum, mit seinem schrecklichen Bedauern.
Tammorn
Neill schloss die weit aufgerissenen Augen von Emeya und strich ihr das Kleid über den dünnen, kindlichen Knien glatt. Das Blumendiadem war ihr vom Kopf gefallen und bildete einen bleichen Fleck in den Schatten. Neill hob es auf, zögerte und beugte sich vor, um es zu küssen. Er blickte zu Sebastien hinüber, der auf der Seite lag und seinen Kopf auf einen ausgestreckten Arm gelegt hatte. Aus den halb geschlossenen Augen flossen Tränen, und seine Lippen zitterten. Neills Gesicht mit den dunklen Augen dagegen war fast ausdruckslos. Dann seufzte Neill, warf die Handvoll welker Blumen auf Emeyas Brust, stand auf und kehrte zu Tam zurück, der im Eingang saß und sich an das Sonnenlicht klammerte.
»Ich glaube, ich gehe jetzt«, sagte Neill beiläufig. »Ich möchte lieber nicht darauf warten, dass das da«, er deutete mit einem Daumen gen Süden, »sich fängt und auf die Suche nach mir macht.« Sein Lächeln war schief und freudlos. »Emeya wollte ihn von Anfang an tot sehen, aber ich habe nie verstanden, warum sie sich über einen Magier ersten Ranges Gedanken gemacht hat, auch wenn er sich so gut darauf verstand, meine Kreaturen zu töten. Wir mussten uns um größere Gefahren sorgen.« Er blickte über die Schulter zu dem toten, achthundert Jahre alten Kind hinüber. »Sie konnte es nicht wissen, ebenso wenig wie ich. Sie mochte einfach meine Tiere.«
Tam erwiderte nichts. Er fühlte sich hohl und war zu betäubt von den Gräueln, als dass er Freude oder Dankbarkeit darüber empfand, am Leben zu sein. Er besaß nicht die Kraft, Neill festzuhalten, selbst wenn er es gewollt hätte.
»Ich werde den Jungen nicht mitnehmen«, fuhr Neill fort. »Falls einer seiner Eltern überlebt hat, werden sie nach ihm suchen. Und falls nicht, ist da immer noch der Onkel. Ich möchte ihnen lieber nicht noch einen Grund mehr geben, mich zu jagen. Sorgen Sie dafür, dass er gut behandelt wird, ja?«
»Wohin gehen Sie?«, fragte Tam. »Der Tempel … «
»Wird was…?«, hakte Neill nach und zog eine Augenbraue hoch, als Tam innehielt, um seine erschöpften Gedanken zu ordnen.
»Es gibt Regelungen in unseren Gesetzen.«
»Sie meinen die Gesetze, die Sie so gerecht behandelt haben?«, fragte Neill ironisch. »Vielen Dank, aber nein. Ich habe nicht die Möglichkeit zu behaupten, nur ein Junge zu sein. Ich gehe einfach – meine Kreaturen hier werden mir folgen. Ich mache keine Schwierigkeiten, solange man mich in Ruhe lässt. Ich bin nicht Emeya. Vielleicht komme ich in ein oder zwei Jahrhunderten auf ein Bier vorbei.«
»Verräter«, flüsterte Sebastien.
Beide Männer sahen ihn an. Er stemmte sich auf den Ellbogen hoch und spuckte in Neills Richtung. »Verräter«, wiederholte er lauter.
»Ja, das bin ich«, bestätigte Neill. »Und das ist der Grund, warum wir alle noch am Leben sind. Möchtest du mit mir kommen?«
Der Junge antwortete nicht. Er starrte auf Emeyas Leiche, und seine magere Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Neill sagte: »Ariadne und Lysander werden bald nach dir suchen. Du könntest auch zu ihnen gehen. Ich würde jedoch vorschlagen … «
Sebastiens Kopf fuhr herum wie ein Magnet, der seinen Pol fand. Sein Gesicht verzerrte sich vor Hass.
Neills » Sebastien, nein!« kam zu spät – wie viel zu spät, würde Tam niemals erfahren. Die Magie des Jungen flammte auf. Tam erkannte in ihr die Annullierung des Lebens, die Fejelis um ein Haar den Tod gebracht hätte und an der sein Meister Lukfer gestorben war, als er die Magie in dem zerstörten Turm aufgehoben hatte.
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