Schattengefährte
darauf gewartet, dass der Herrscher und seine Gemahlin sich niederließen, erst dann war es auch den anderen gestattet, ihre Plätze aufzusuchen. Alina saß wie immer zur Linken ihres Vaters, und es war leider unvermeidlich, dass Nessas Bruder, der Ritter Nemet, neben ihr speisen würde. Auch diesmal hatte er eilig ihre Nähe gesucht, ihr den gepolsterten Hocker sorgfältig bereitgestellt und dabei die ganze Zeit von ihrer Schönheit und Anmut geschwafelt.
König Angus hüllte sich in finsteres Schweigen während der Zeremonienmeister seines Amtes waltete. Es gab eine strenge Sitzordnung an der königlichen Tafel, die sich nach dem Rang der Ritter und Hofleute richtete. In der Mitte thronte das Herrscherpaar mit den engsten Verwandten und den hervorragendsten Rittern mit ihren Ehefrauen und Töchtern. Je weiter man von der Mitte entfernt platziert wurde, desto niedriger war auch das Ansehen, das man bei Hofe genoss. An den beiden Tischenden hockten die einfachen Schreiber, die Dienstleute und die jungen Kämpfer, die gerade erst zum Ritter geschlagen worden waren. Knappen hatten an der Tafel nichts zu suchen, sie eilten im Saal umher, denn ihre Aufgabe war es, unter Anleitung des Truchsess, Wein und Met in die Becher zu gießen.
Erst als jeder am richtigen Ort saß, die Becher gefüllt und die Platten und Schüsseln aufgetragen wurden, richtete König Angus leise das Wort an seine Frau.
»Vergesst niemals, Nessa, dass meine Tochter mir näher ist, als jeder andere hier in diesem Raum, denn sie ist mein eigen Fleisch und Blut.«
»Wie könnte ich das je vergessen«, gab Nessa zurück und lächelte versöhnlich. »Das Licht in ihrem Haar hat mich geblendet und ihre schönen, grün gefiederten Augen haben mich verwirrt. Verzeiht mir, mein Gemahl.«
Der König schwieg, doch Alina konnte an der düsteren Miene ihres Vaters erkennen, dass sein Zorn nicht vergangen, sondern eher angestiegen war. Es tat ihr leid, dass er sich so ereifern musste, denn sie fürchtete, er könne am Ende wieder in eine seiner Melancholien verfallen. Wütend blickte sie zu Nessa hinüber, doch die hatte sich den silbernen Teller mit allerlei Speisen vollgeladen und schmauste so unbefangen, als sei gar nichts geschehen.
Ihre Stiefmutter war während der vergangenen Jahre nicht schöner geworden, die Hüften hatten sich verbreitert, ihr Gang war schwer, und sie musste die faltige Haut unter ihrem Kinn mit einem kunstvoll geschlungenen Seidentuch verbergen. Früher hatte Alina die Königin bedauert, denn ihre Hoffnung, Angus eines Tages noch einen Erben zu schenken, schwand mit jedem Tag dahin. Nichts hatte helfen können, weder Machas Kräutertränke, noch die alten Zaubermittel, auch nicht die warme Quelle, die am roten Berg entsprang. Unfruchtbarkeit war schlimm für eine Königin – doch Alinas Mitleid mit Nessa hielt sich inzwischen in Grenzen.
»Vergebt meiner Schwester, Herr«, mischte sich jetzt Nemed ein. »Sie ist rasch mit dem Wort, doch ihr Herz ist gütig und hängt in treuer Liebe an Euch, mein König. Auch das dürft Ihr nicht vergessen.«
Was für ein hohler Schwätzer, dachte Alina. Nessa liebt meinen Vater kein bisschen, sie liebt es nur, Königin zu sein.
Die Hofgesellschaft machte sich inzwischen über die aufgetragenen Speisen her, Messer wurden gezückt und Fleischbrocken aufgespießt, wer ein gutes Stück erwischen konnte, der zögerte nicht lange, denn nur den hochwohlgeborenen Herrschaften wurden volle Schüsseln gereicht. Für die Leute an den Tischenden blieben oft nur ein paar kümmerliche Reste, so dass man sich mit Brei und Gemüse begnügen musste. Alina konnte sehen, wie Ogyn gierig ein Stück Braten verschlang, so dass ihm der Saft durch den Bart rann und von dort auf das Tischtuch tropfte. Dabei hätte er sich gar nicht so beeilen müssen, denn der Zeremonienmeister hatte ihn ein gutes Stück weiter zur Mitte hin gesetzt, es war nicht zu übersehen, dass seine Ernennung zum Lehrer der Königstochter sein Ansehen befördert hatte. Dennoch kaute er mit vollen Backen und zielte mit dem Messer schon auf den nächsten, fetten Bissen.
König Angus nahm nur wenig zu sich, er sprach kaum, auch hob er nicht den Becher, um einem seiner Getreuen oder seiner Tochter zuzutrinken, was er sonst so gern tat. Alinas Vermutung schien sich zu bestätigen: Ihr Vater war in eine seiner trüben Stimmungen verfallen, und es war nicht abzusehen, wie lange sie anhalten würde. Das war schlimm, denn wenn er sich zurückzog, würde
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