Schattengefährte
Nessa an seiner Statt die Burg regieren, und Alinas Hoffnung, den lästigen Ogyn bald loszuwerden, schwand fürs Erste dahin.
Das Schweigen des Königs legte sich bald wie ein dunkler Schatten über den Saal, auch jene, die bisher fröhlich geschwatzt und gelacht hatten, wurden stiller, man sprach nur noch leise miteinander, und immer wieder wanderten die Blicke ängstlich zur Mitte der Tafel hinüber, denn niemand wollte den Unwillen des Herrschers erregen. Jetzt entdeckte Alina auch, dass einige der Ritter verwundet waren, sie hatten Schrammen auf Stirn und Wangen, einer hatte die rechte Hand mit einer Binde umwickelt, ein anderer hielt den Kopf schräg und presste immer wieder ein Tuch auf sein linkes Ohr.
»Es hat einen Kampf gegeben«, erklärte Nemet, der Alinas forschenden Blicken mit den Augen gefolgt war. »Eigentlich war es nur ein kleines Scharmützel, aber dennoch gab es etlichen Rittern Gelegenheit, sich vor dem König auszuzeichnen.«
Er sah zu Angus hinüber, als erwarte er sich ein persönliches Lob von seinem Herrscher, doch der König brach sein Schweigen nicht, ja, er schien gar nicht zugehört zu haben.
»Ein Kampf? Haben etwa die Wolfskrieger gewagt, in unser Land einzudringen?«, wollte Alina wissen.
Nemet lächelte zufrieden, denn es war ihm endlich gelungen, Alinas Aufmerksamkeit zu gewinnen.
»Das wäre zu viel gesagt. Eine kleine Gruppe dieser Tagediebe trieb sich in der Nähe des Flusses herum, vielleicht wollten sie einfach nur fischen. Aber dazu hätten sie nicht unser Land betreten müssen. Also haben wir sie angegriffen und in den Fluss getrieben.«
Jetzt, da die Sache nun einmal heraus war, mischten sich auch andere Ritter ins Gespräch ein und redeten verächtlich über die besiegten Feinde. Es sei lustig gewesen, die Kerle ins Wasser zu jagen, denn sie hätten ja mit den schweren Kettenpanzern nicht schwimmen können.
»Gewehrt haben sie sich, wollten mit den Schwertern gegen uns kämpfen, die Dummköpfe.«
»Wir haben sie einfach niedergeritten. Wer nicht von unseren Lanzen erwischt wurde, der kippte rücklings in den Fluss und ersoff.«
»Wie die Steine gingen sie unter. Nur ein paar Blasen waren noch zu sehen …«
»Nicht einer hat das andere Ufer erreicht. Es ist schade darum, denn nun wird niemand ihrem König berichten, wie seine Männer zu Fischen wurden.«
Alina verspürte einen Schauder. Es war schrecklich, sich dieses Morden vorzustellen. Hilflos waren die Männer in den Fluten des reißenden Flusses versunken, vom Gewicht der eigenen Rüstung in die Tiefe gezogen. War das ritterlich gehandelt? Hätte man nicht ihr Leben retten müssen, wenn auch nur, um sie als Geiseln gefangen zu nehmen? Sie schien jedoch die Einzige der Umsitzenden zu sein, die solche Zweifel hegte, denn von allen Seiten wurden die Sieger nun beglückwünscht, und ganz besonders taten sich hierbei die Frauen und Mädchen hervor. Alina begriff, dass es wohl sehr albern war, mit geschlagenen Feinden Mitleid zu haben. Dennoch gelang es ihr nicht, an der allgemeinen Freude teilzuhaben.
»Sie trugen Kettenhemden und hatten Schwerter?«, fragte sie ihren Vater. »Aber dann waren sie doch ganz sicher nicht zum Fischen unterwegs.«
Der König hatte bis dahin kein Wort zu dem bestandenen Kampf gesagt, es schien vielmehr so, als sei er tief in seine eigenen Gedanken versunken. Alinas Frage, jedoch, brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück.
»Du bist klug, Alina«, sagte er und warf Nemet dabei einen verächtlichen Blick zu. »Du lässt dich nicht so leicht betrügen. Es ist wahr: Die Wolfskrieger waren in Rüstung und Waffen. Sie sind in mehreren Booten über den Fluss gefahren und wollten eine meiner Burgen angreifen. Lange Zeit haben sie das nicht mehr gewagt – doch von nun an werden wir uns vorsehen müssen.«
Stille trat ein, nur an den beiden Tischenden, wo man die Worte des Königs nicht vernommen hatte, wurde noch geschwatzt. Doch bald erstarb auch dort jedes Gespräch, man flüsterte leise, und die Botschaft, dass neue Kämpfe mit den Wolfskriegern bevorstanden, verbreitete sich bis zum letzten Schreiberling.
»Wir fürchten die Wolfskrieger nicht«, sagte einer der jungen Ritter. »Haben wir sie nicht gestern mit Leichtigkeit besiegt?«
»Es sind Dummköpfe und Schwächlinge!«, meinte auch ein anderer.
»Sie werden allesamt im Fluss ersaufen!«
Doch einige der älteren Männer, die nicht mit dem König geritten, sondern auf der Burg geblieben waren, machten bedenkliche
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