Schattengefährte
Gesichter. Es waren jene, die damals, vor mehr als zwanzig Jahren, im Kampf gegen die Wolfskrieger dabei gewesen waren, und sie schienen mehr zu wissen, als die jungen Kerle, die ihre Münder so voll nahmen.
Alle blickten auf König Angus, der mit einer langsamen Bewegung seinen Becher nahm und einen tiefen Zug daraus tat.
»Niemand, der in meinem Land lebt, muss die Wolfskrieger fürchten«, sagte er vernehmbar und setzte den gläsernen Becher mit einer harten Bewegung auf den Tisch zurück. »Wir haben ihnen bewiesen, dass wir nicht mit uns scherzen lassen, und sie werden es gewiss nicht wagen, ein zweites Mal über den Fluss zu setzen. Tun sie es aber doch, dann werden wir ihr Reich ein für alle Mal vernichten.«
Jubel erhob sich an der Tafel, denn die Worte des Königs hatten zuversichtlich und entschlossen geklungen. Man stieß mit den Bechern an, die Knappen konnten gar nicht so rasch nachschenken, wie der Wein getrunken wurde, und manch einer der kleinen Kerle erhielt eine kräftige Maulschelle, weil er zu lange säumte.
»Wir werden sie besiegen, wie vor zwanzig Jahren!«
»Wir nehmen ihre Burgen ein und ihr König wird unser Gefangener sein!«
»Und die schönen Töchter des Landes werden uns als Mägde dienen!«
»Ihre Helfer sind tot, sie werden ihnen nichts mehr nützen …«
Alina war auch von der allgemeinen Begeisterung erfasst worden, vor allem deshalb, weil ihr Vater ja doch vermutete, die Wolfskrieger würden es keinesfalls wagen, noch einmal ins Land einzudringen. Der letzte Satz jedoch, den ein alter Recke mit grauem Bart und kahlem Schädel gesprochen hatte, machte sie nachdenklich.
»Was für Helfer haben die Wolfskrieger denn?«
Sie hatte die Frage an ihren Vater gerichtet, doch der schien sie nicht gehört zu haben, denn er erhob sich jetzt von seinem Stuhl und reichte Nessa, seiner Ehefrau, die Hand. Es bedeutete, dass die Mahlzeit beendet war und der König die Absicht hatte, sich mit Nessa zurückzuziehen. Sofort standen auch die anderen Tafelgäste von ihren Plätzen auf, der Zeremonienmeister sprang herbei, und man bildete ein Spalier bis zu den breiten Flügeltüren der Halle, um den König und seine Gemahlin hinauszugeleiten.
Der alte Recke war bei Alina stehen geblieben, denn er hatte ihre Frage wohl vernommen. Er zögerte ein Weilchen, denn er zweifelte, ob er das Recht habe, eine Antwort zu geben, die der König seiner Tochter verweigert hatte. Doch die Rede des Königs hatte ihn erregt, Erinnerungen waren aufgestiegen, und es drängte ihn, von alten Zeiten zu sprechen.
»Welche Helfer sie haben? Nun, früher hatten sie Drachen. Schwarze Scheusale mit gezackten Flügeln und krumm nach außen gebogenen Krallenfüßen. Die Biester haben uns schwer zu schaffen gemacht, denn sie spuckten feurige Lohe. Wer davon getroffen wurde, von dem blieb nur noch ein Häufchen Asche. Aber die Drachen wurden allesamt im Kampf getötet – keiner wurde je wieder gesehen.«
Kapitel 3
Den Nachmittag über war es ruhig auf der Burg. Der König und seine Männer waren die Nacht über geritten, nach dem ausgiebigen Mahl gönnte man sich erholsamen Schlaf. Nur verhalten klangen die Stimmen der Knappen über den Burghof, denn ihre Ausbilder sorgten dafür, dass sie den Schlummer der heimgekehrten Ritter nicht störten. Aus dem Saal, in dem zuvor noch getafelt worden war, ertönten nun Schnarchgeräusche – nur die hervorragendsten Ritter des Königs bewohnten ein Burggemach, die übrigen nächtigten auf Strohsäcken in der großen Halle und deckten sich mit ihren Mänteln zu.
Alina hatte großes Glück, denn Ogyn ließ ihr ausrichten, er habe im Auftrag des Königs ein wichtiges Schreiben vorzubereiten, daher müsse der Unterricht leider verschoben werden.
»Ganz sicher hat er sich überfressen und jetzt tut ihm der Bauch weh«, meinte sie fröhlich zu der alten Macha. »Meinetwegen kann er sich gern bis übermorgen von seinem Leiden erholen, ich werde ihn nicht vermissen.«
Alinas Magd war fahrig und ihre Hände unsicher. Das warme Wasser schwappte über den Rand des hölzernen Eimers, als Macha ihre Last auf den Boden stellte und statt der Rosenblätter streute sie versehentlich getrockneten Salbei in Alinas Waschschüssel.
»Verzeiht mir, junge Herrin«, rief sie erschrocken. »Es wird allerlei geredet, und das macht mich im Kopf wirr.«
Natürlich hatte sich die Kunde von den neuen Kämpfen mit Windeseile unter dem Gesinde verbreitet. Alina war neugierig, ihre alte Magd musste doch
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