Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Trotz seines herausfordernden Benehmens zuckte er zusammen, als Seregil seine Hände und Arme untersuchte. Auf den Handrücken fanden sich einige frische Kratzer, darüber hinaus wiesen die schwieligen Hände lediglich den Schmutz eines langen Tages auf der Jagd auf. Brust, Nacken und Hals waren ebenfalls unversehrt.
»Hat man ihn sofort nach dem Angriff ergriffen?«, fragte Seregil.
»Ja, Mylord«, versicherte ihm Braknil. »Alec sagte, dieser Mann hätte sie gewürgt, als er sie entdeckt hat.«
»Sie ist gestürzt. Ich habe versucht, ihr zu helfen«, konterte Emiel. »Vielleicht hatte sie eine Art Anfall. Die Tír sind doch anfällig für Krankheiten, habe ich jedenfalls gehört. Ihr wisst sicher mehr darüber als ich.«
Seregil widerstand der Versuchung, dem Kerl das arrogante Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln. Gleich darauf bot ihm das Auftauchen von Alec und Kheeta an der Küchentür eine willkommene Ablenkung.
»Was hat er gesagt?«, verlangte Alec zu erfahren, als er näher kam.
»Dass er versucht hätte, ihr zu helfen.«
Alec wollte sich auf Emiel stürzen, aber Seregil hielt ihn auf. »Tu das nicht«, murmelte er dicht an Alecs Ohr. »Geh wieder rein und warte. Wir müssen uns unterhalten.« Alec hörte auf, sich zu wehren, ging aber auch nicht weg.
»Wenn sie stirbt, Haman, wird es für dich kein Dwai Sholo geben!«, zischte Alec.
»Genug. Verschwinde!« Seregil nickte Kheeta zu, und der Bôkthersa ergriff Alecs Arm und zerrte ihn zurück ins Haus.
»Habt Ihr noch etwas zu sagen?«, fragte Seregil Emiel.
»Dir habe ich gar nichts zu sagen, Verbannter.«
»Schön. Feldwebel, durchsucht diesen Mann und seine Satteltaschen.« Er unterbrach sich; dann, ohne Nazien í Hari auch nur anzusehen, fügte er hinzu: »Durchsucht alle Haman, die an der heutigen Jagd teilgenommen haben, und bringt mir, was immer ihr findet. Sie werden hier festgehalten, bis es neue Befehle gibt.«
Stille folgte ihm zurück in das Haus. Kheeta und Alec hatten das ehemalige Trauerzimmer mit Beschlag belegt.
»Klia wurde in das Frauenbad gebracht«, erzählte ihm Kheeta. »Mydri hat angeordnet, dass dort eine kleine Dhima für sie aufgestellt werden soll.«
»Schweigt fürs Erste über alles, was sich zugetragen hat, in Ordnung?«
Kheeta nickte und ging hinaus.
Als sie endlich allein waren, nahm Seregil all seine verbliebene Geduld zusammen und konzentrierte sich auf Alec. »Du musst dich beruhigen. Es ist wichtig.«
Alec starrte ihn finsteren Blickes an. Furcht und Zorn funkelten in seinen Augen, und tiefer Schmerz strahlte von ihm aus; Seregil fühlte, wie dieser Schmerz auch seine Kehle zuschnüren wollte. »Bei des Schöpfers Gnade, Seregil, was, wenn sie stirbt?«
»Das liegt nicht in unserer Macht. Und jetzt erzähle mir ganz genau, was du gesehen hast, alles, was du gesehen hast.«
»Wir haben mittags auf einer Lichtung Rast gemacht. Dort haben wir gegessen und darauf gewartet, dass die Mittagshitze nachlässt. Emiel hat angeboten, Klia einige Teiche entlang des Flusslaufes zu zeigen.«
»Hast du gehört, wie er das gesagt hat?«
»Nein, ich war … abgelenkt«, gestand Alec beschämt. »Einige von seinen Freunden haben mich zu einem Wettkampf herausgefordert. Klia und Emiel haben im Schatten gesessen, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Nach dem Wettkampf waren sie weg. Beka hatte beobachtet, wohin sie gegangen waren. Sie hatte ihnen angeboten, sie zu begleiten, aber Klia wollte das nicht. Sie muss gehofft haben, Emiel für sich gewinnen zu können. Wie auch immer, sie konnten nicht länger als eine halbe Stunde fort sein, als ich sah, wie er sie am Boden hielt. Ihr Haar und ihre Tunika waren nass, und sie kämpfte mit aller Kraft. Als ich ihn endlich von ihr herunterreißen konnte, fiel ihr das Atmen schon schwer. Ich habe sie auf ein Pferd gesetzt, und wir sind so schnell wie möglich hergekommen.«
Seregil dachte darüber nach und schüttelte dann den Kopf, denn die Worte, die er nun aussprechen musste, lagen wie bittere Asche auf seiner Zunge. »Dann besteht eine Möglichkeit, dass er die Wahrheit sagt.«
»Ich habe ihn gesehen! Und du hast die Male gesehen, die beide tragen.«
»Die Male an ihrem Hals passen nicht. Dort sollten Quetschungen sein, Abdrücke seiner Finger, aber es sind keine da.«
»Verdammt, Seregil, ich weiß, was ich gesehen habe.«
Seregil fuhr sich mit der Hand durch das Haar und seufzte. »Du weißt, was du gesehen zu haben glaubst. Wie sah Klias Gesicht aus, als du sie
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