Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Dennoch hatten sie unterwegs innegehalten, um vier weitere Pferde zu stehlen. Wenn die Zeit des Abschieds gekommen war, was nun nicht mehr lange dauern würde, würde sie die Pferde aus der Station mitnehmen, um die Spuren der beiden Männer zu verwischen.
Der Plan war gut – ähnliche Listen hatte sie gegen die Plenimaraner schon oft angewandt –, dennoch war Seregil in der letzten Stunde sehr still und schweigsam gewesen und hatte für ihren Geschmack zu viel Zeit damit verbracht, die dichten Wälder am Wegesrand zu beobachten. Alec behielt ihn im Auge und machte sich Sorgen.
Dann zügelte Seregil sein Pferd so abrupt, dass es mit ihrem kollidierte.
»Verdammt, was ist denn jetzt los?«, fragte sie und riss ihr Pferd ruckartig herum, als Seregils lebhafter Fuchs mit den Hinterhufen austrat.
Er sagte nichts, beruhigte lediglich sein Pferd und betrachtete eingehend eine überwucherte Nebenstraße zu ihrer Linken. Seine Miene war keineswegs ermutigend.
»Wir haben die Abzweigung verpasst, nach der du Ausschau gehalten hast, richtig?«, fragte Alec, doch Beka entging der besorgte Unterton in seiner Stimme nicht. Sie hatten durchaus Grund zur Sorge. Seregil war hier draußen ihr einziger Führer, aber es war schon ein halbes Leben her, seit er zum letzten Mal diese Straßen bereist hatte.
Seregil zuckte die Achseln. »Vielleicht, oder er wurde nicht mehr benutzt, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Immerhin hat Amali erzählt, die Dörfer in dieser Gegend würden langsam aussterben.« Er sah zu dem heller werdenden Himmel hinauf, und die Furchen auf seiner Stirn vertieften sich. »Kommt weiter. Wir müssen die Hauptstraße bald verlassen, und es gibt noch andere Wege durch das Gebirge.«
Der Khirnari der Akhendi erwachte, als jemand den Riegel an der Tür zu seinem Schlafgemach löste. Mit klopfendem Herzen griff er nach dem Messer unter seinem Kissen und streckte einen Arm aus, um Amali zu schützen, nur um gleich darauf festzustellen, dass die andere Hälfte des Bettes verlassen war.
Sein Diener Glamiel schlüpfte mit einer Kerze in der Hand zur Tür herein und trottete langsam auf das Bett zu.
»Wo ist meine Frau?« fragte Rhaish aufgebracht, die Arme um die schmerzende Brust geschlungen.
»Im Garten, Khirnari. Sie ist schon vor einer Weile aufgestanden.«
»Schön.« In der letzten Zeit hatte der Schlaf ihn nur selten begünstigt und beim Aufwachen meist verwirrt zurückgelassen. »Was ist denn dann los? Die Dämmerung ist noch nicht einmal angebrochen.«
»Doch, das ist sie, Khirnari. Amali hat Anweisung erteilt, Eure Ruhe nicht zu stören, aber der Morgen bringt uns seltsame Neuigkeiten.« Glamiel trat zu dem großen Fenster und zog den Vorhang zurück. Graues Tageslicht, gepaart mit dem Geruch des Regens, erfüllte den Raum. Als er durch das von blühenden Zweigen umrahmte Fenster hinausblickte, sah Rhaish seine Gemahlin allein neben einer Laube sitzen. Sie hatte geweint, letzte Nacht, hatte ihn wieder einmal inständig gebeten, sein Schweigen zu brechen und ihr seinen Zorn zu erklären. Was hätte er ihr sagen sollen?
Solchermaßen abgelenkt, entging ihm der erste Teil der Neuigkeiten, wegen derer Glamien ihn geweckt hatte, und er musste seinen Diener bitten, sie zu wiederholen.
»Die Skalaner haben vergangene Nacht Meldereiter ausgesandt«, berichtete der alte Mann.
»Seit wann ist das etwas Besonderes?«
»Das dachten wir auch, Khirnari. Bis wir von der ersten Wegestation unterrichtet wurden, dass keiner aus der Akhendi-Eskorte das vereinbarte Signal gegeben hat und der Knabe den skalanischen Reiter noch nie zuvor gesehen hatte. Einer aus der Eskorte behauptete, Vanos í Namal zu sein, aber jener ist noch immer in der Unterkunft der Skalaner. Ich habe selbst mit ihm gesprochen. Ebenso verhält es sich mit allen anderen, die Befehl hatten, sich als Führer für die Skalaner bereitzuhalten. Was sollen wir nun tun?«
»Wann hast du das erfahren?«
»Gerade eben, Khirnari. Soll Brythir í Nien über diese Geschichte in Kenntnis gesetzt werden?«
»Nein. Nicht ehe wir herausgefunden haben, was unsere skalanischen Freunde vorhaben.« Er dachte einen Augenblick nach und fügte dann hinzu: »Schick nach Seregil. Ich möchte sofort mit ihm sprechen.«
Als er wieder allein war und in seine Kissen zurücksank, tauchte ein Bild vor seinem geistigen Auge auf: Seregil, der mit geschickten Fingern einen Fisch aufschlitzte und einen Ring aus ihm hervorzog, so sicher, als hätte er gewusst, dass
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