Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
stellte Alec in einem Ton fest, der weit geduldiger war, als alles, was Beka hätte hervorbringen können.
»Nein, das hier ist der richtige Weg«, beharrte Seregil. »Siehst du den Felsen dort?« Er deutete auf einen großen, grauen Gesteinsbrocken wenige Meter weiter rechts neben der Straße. »Woran erinnert er euch?«
Beka umfasste die Zügel kraftvoller. »Hör mal, ich bin hungrig, und ich kann mich nicht einmal erinnern, wann ich zum letzten Mal geschlafen habe …«
»Ich meine es ernst. Woran erinnert er euch?« Nun grinste er bereits über das ganze Gesicht wie ein Wahnsinniger, und sie begann sich zu fragen, wie lange er nicht mehr geschlafen hatte.
Alec begegnete ihrem fragenden Blick mit dem üblichen Achselzucken, ehe er seine Aufmerksamkeit dem besagten Felsbrocken zuwandte.
Er war etwa sechs Fuß lang, vier Fuß hoch und oval. Die ihnen zugewandte Seite verjüngte sich stark und wies zwei Vertiefungen auf, die ihm beinahe das Aussehen eines …
»Ein Bär?«, schlug Beka vor, wobei sie sich fragte, ob sie nun ebenfalls den Verstand verlor. Aber der schmale Ausläufer des Felsens erinnerte tatsächlich an einen tief gesenkten, mächtigen Schädel, hinter dem sich der krumme Rücken eines Bären abzuzeichnen schien.
»Tatsächlich«, stimmte Alec vergnügt zu. »Wir scheinen von Bären verfolgt zu werden. Ist das der Orientierungspunkt, nach dem du gesucht hast?«
»Ja«, antwortete Seregil mit unüberhörbarer Erleichterung. »Verdammt, ich hatte ihn tatsächlich vergessen, bis ich ihn jetzt wieder gesehen habe. Wenn ihr ihn aus der Nähe betrachtet, könnt ihr immer noch die Stelle erkennen, an der jemand Augen auf den Felsen gemalt hat. Früher war das eine viel genutzte Straße. Im Gebirge gab es etliche Dörfer und hinter ihnen eine Handelsstation der Dravnier.«
»Jetzt scheint hier nicht mehr viel Verkehr zu herrschen«, stellte Beka noch immer zweifelnd fest. Unterschenkelgroße Schösslinge überwucherten den von Unkraut bedeckten Pfad.
»Und das ist auch gut so«, sagte Seregil. »Je weniger Leuten wir begegnen, desto besser gefällt mir die Sache. Immerhin ist Thero nicht der einzige, der magische Botschaften aussenden kann.« Er blickte zur Sonne hinauf. »Wir sind spät dran. Eigentlich sollten wir schon viel weiter sein.«
Ohne abzusteigen verfrachteten er und Alec ihre Sättel und ihre Ausrüstung auf zwei der gestohlenen Pferde und kletterten anschließend auf ihre Rücken.
Die Sache gestaltete sich zwar recht schwierig und erforderte Bekas Hilfe bei den Gurten, doch auf diese Weise hinterließen sie keine aussagekräftigen Spuren für ihre Verfolger.
Beka befestigte die Zügel der nicht mehr benötigten Pferde an ihrem Sattelknauf und ließ ihnen genug Raum, sich frei zu bewegen. Die Spuren würden hinterher erweisen, dass die ’Reisenden’, die sich ihnen im Laufe der Nacht angeschlossen hatten, ihrer Wege gezogen waren, während die drei Meldereiter weiter der Hauptstraße folgten.
»Versteck dich so lange wie möglich«, schärfte ihr Seregil ein, als er ihr die Hand zum Abschied drückte. »Ohne einen Führer kannst du nicht durch das Gebirge reiten, also sitzt du diesseits der Berge fest.«
»Macht euch um mich keine Sorgen«, erwiderte sie. »Ich werde einfach so lange wie möglich auf dieser Straße bleiben. Bestimmt kann ich mich hier noch einen oder zwei Tage aufhalten, aber dann werde ich zu Klia zurückkehren. Sollte mich jemand entdecken, können sie mir so oder so nichts weiter antun, als mich nach Sarikali zurückzuschleifen. Was werdet ihr tun, wenn ihr mit Korathan gesprochen habt?«
Seregil zuckte die Achseln. »Wir werden wohl bei ihm bleiben, nehme ich an, wenn auch vielleicht in Ketten. Aber wenn ich ihn überzeugen kann, dann wird er auf direktem Wege nach Skala zurückkehren.«
»Dann sehen wir uns dort wieder«, sagte sie fröhlich, obwohl sie im Stillen mit bösen Ahnungen kämpfte.
Alec bedachte sie mit einem schiefen Grinsen. »Glück in den Schatten, Wächterin.«
»Euch auch.« Reglos saß sie auf ihrem Pferd, als sich die beiden auf den Weg machten. Seregil verschwand hinter einer Biegung, ohne sich noch einmal umzusehen. Alec hielt kurz inne und winkte ihr zu, ehe er seinem Gefährten folgte.
»Glück in den Schatten«, flüsterte sie noch einmal, ehe auch sie sich wieder auf den Weg machte.
Die Straße wurde unterwegs nicht gerade besser, aber sie war immerhin frei genug, dass Alec und Seregil ihre Pferde zum Galopp treiben
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