Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
ihn erneut mit einem langen, unergründlichen Blick. »Gibt es sonst noch etwas, das Ihr mir verschweigt, obwohl ich es wissen sollte?«
»Nein, Mylord.«
»Ich hoffe für Euch, dass Ihr die Wahrheit sagt.«
Korathan stellte seine Tasse ab und wandte sich der Menge zu. »Da ihr alle meine ursprünglichen Befehle zu kennen scheint, werde ich euch jetzt erklären, wo wir stehen. Hätten Seregil und Alec mir nicht gewisse Informationen zukommen lassen, so hätte ich meine Befehle ausgeführt. Dafür werde ich sicher keine Abbitte leisten. Ich bin der Bruder der Königin und ihr in Treue ergeben. Dennoch gebe ich zu, dass ich erleichtert darüber bin, wie sich die Dinge nun entwickelt haben. Ich kann nur hoffen, genauso überzeugend wie Seregil diese Vorgehensweise als die klügere Methode rechtfertigen zu können. Der beste Weg, das zu erreichen, wird sein, die Mission, mit der euch meine Mutter betraut hat, erfolgreich zu Ende zu führen: einen sicheren Hafen im Norden und eine zuverlässige Quelle für Pferde, Stahl und Lebensmittel zu erschließen. Als Vizekönig von Skala werde ich mich dafür einsetzen, sobald die Sache mit Seregil durchgestanden ist. Ich behaupte nicht, ich könnte diesen Iia’sidra verstehen oder die Funktionsweise eines Landes, das keinen Regenten kennt. Ich weiß nur, dass Skala keine Zeit für müßiges Geschwätz zu vergeuden hat.«
Rhaish í Arlisandins unerwartetes Dahinscheiden verzögerte Seregils Verhandlung bis zum späten Vormittag. Unfähig, sich auf irgendetwas zu konzentrieren, ging Alec unentwegt auf den Korridoren oder im Viehhof auf und ab. Schließlich jedoch war es so weit, und sie setzten sich erneut in Richtung Iia’sidra in Bewegung. Klia hatte auch dieses Mal darauf bestanden, dabei zu sein, und Thero blieb stets in ihrer Nähe, als sie in ihrer Sänfte durch die Straßen getragen wurde.
An diesem Tag wurden sie nicht wie am Vortag von einem Gedränge erwartet. Ihre Schritte hallten laut durch den Saal, als sie eintraten und ihre Plätze aufsuchten. Die Galerien waren, von einigen wenigen Rhui’auros und dem einen oder anderen Zuschauer abgesehen, verlassen. Die Elf hatten ihre Plätze noch nicht eingenommen.
Ein besonderer Anblick erregte mehr als alles andere seine Aufmerksamkeit und versetzte ihn derart in Aufregung, dass sein Herz gegen seine Rippen hämmerte.
Eine einsame Gestalt lag bäuchlings in der Mitte des dunklen Steinbodens, die Arme weit von sich gestreckt. Es war Seregil. Alec kannte ihn gut genug, ihn wiederzuerkennen, ohne sein Gesicht zu sehen, das unter dem dunklen Haar verborgen lag.
Er trug eine schlichte weiße Tunika und Hose und lag so still, als würde er nicht einmal mehr atmen. Kheeta und Säaban flankierten ihn gleich grimmigen Gespenstern.
»Nur Mut, Alec«, flüsterte Beka, als sie ihn zu seinem Platz geleitete.
Atui, dachte Alec und stählte sich. Heute sollte niemand behaupten können, der Talímenios des Verbannten würde jenen durch sein unangemessenes Benehmen entehren.
Seregil hatte längst vergessen, wie lange er schon dort lag. Adzriel hatte ihn einige Stunden nach Sonnenaufgang zum Iia’sidra gebracht. Der Steinboden war zu dem Zeitpunkt noch kühl von der Nacht, und die Kälte hatte seine Kleider durchdrungen und die Wärme aus seinen Muskeln gesaugt.
Das letzte Mal hatte er im feuchten Gras gelegen, in der Fai’thast seines eigenen Vaters. Insekten waren über seine Haut gekrabbelt, und der Rasen hatte sein Gesicht gekitzelt, während er sich an seinen Tränen labte.
Sein Gesicht und seine Brust schmerzten von dem Druck des kalten Steinbodens, und die Anstrengung, stillzuliegen, zerrte quälend an seinen Muskeln. Dennoch bewegte er sich nicht, sondern lauschte nur den Geräuschen, die von draußen hereindrangen.
In Bôkthersa hatte er den spöttischen Stimmen der Kinder und der jungen Faie gelauscht und voller Schmerz erkannt, dass einige der Stimmen seinen Freunden gehörten.
Hier war es so still, dass er sogar die Schritte der Passanten hören konnte, die auf der Straße vor dem Gebäude unterwegs waren. Aus den Gesprächsfetzen, die er mit angehört hatte, wusste er, dass Rhaishs Tod inzwischen bekannt war, und als die Neuigkeiten über die Schuld des Mannes an seine Ohren drangen, lächelte er mit schmerzenden Wangen und ausgetrockneten Lippen.
Bei Bilairys Eiern, sein Kopf schmerzte höllisch. Knie und Schultern pulsierten, und seine Hüftgelenke fühlten sich an, als wollten sie sich durch seine
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