Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
verstärkten diesen Eindruck noch.
»Ich dachte, die Haman sollten auch hier sein?«, flüsterte Alec, während er sich aufmerksam unter den Gästen umblickte.
»Noch nicht da. Aber vielleicht hat meine Anwesenheit sie auch abgeschreckt.«
»Nazien í Hari kommt mir nicht so vor, als wäre er leicht einzuschüchtern.«
Mit Sen’gai und einer festlichen Robe im Türkiston der Silmai stützte sich Brythir í Nien auf den Arm einer dunkelhaarigen jungen Frau, als er Klia und ihr Gefolge willkommen hieß.
»Ihr ehrt unser Haus durch Euren Besuch«, sagte er, während er sacht ein kleines Mädchen in einer bunt bestickten Tunika voranschob. Das Kind verbeugte sich und bot Klia ein Paar schwerer goldener, mit Türkisen besetzter Armreifen dar. Während er zusah, wie sie den Schmuck zu den Gaben der Gedre und den Talismanen der Akhendi auf ihre Handgelenke streifte, fragte sich Seregil, ob all diese Pracht nicht allmählich zu einer Last für ihre Arme werden musste. Allerdings würde er das wohl kaum je herausfinden.
»Man hat mir erzählt, Ihr hättet ein außergewöhnlich feines Gespür für Pferde«, fuhr Brythir fort, während er Klia weise anlächelte. »Ihr reitet einen Silmai-Rappen, soweit ich informiert bin.«
»Das beste Pferd, das ich je besaß, Khirnari«, stimmte sie zu. »Er hat mich zwischen hier und Mycena schon durch manche Schlacht getragen.«
»Wie gern würde ich Euch das weite Land meiner Fai’thast zeigen. Unsere Herden bedecken ganze Berge.«
»Sollten meine Bemühungen in Sarikali von Erfolg gekrönt sein, werdet Ihr vielleicht noch die Gelegenheit dazu erhalten«, antwortete Klia scharfsinnig.
Dem alten Mann war die unausgesprochene Bedeutung ihrer Worte nicht entgangen. Mit einem schadenfrohen Lächeln, das seine Jahre Lügen strafen wollte, bot er ihr seinen zerbrechlichen Arm und führte sie in den Garten. »Ich glaube, die heutige Abendunterhaltung wird ganz nach Eurem Geschmack sein, meine Liebe.«
»Soweit ich gehört habe, wird auch Nazien í Hari zugegen sein«, sagte Klia. »Ist er Euer Verbündeter?«
Der alte Mann tätschelte ihre Hand, als wäre sie seine Enkeltochter. »Wir sind Freunde, er und ich, und ich hoffe, ihn auch zu Eurem Freund zu machen. So sehr ich Corruth í Glamien gemocht habe, dieses Edikt hat mich über all die Jahre ausgelaugt. Corruth war mein Neffe, müsst Ihr wissen. Und wir Silmai sind Reisende, Seeleute, die besten Kaufleute von ganz Aurënen. Wir mögen es nicht, wenn man uns sagt, wohin wir gehen dürfen und wohin nicht. Außerdem vermisse ich das schöne Rhíminee hoch oben auf den Klippen!«
»Euer Garten weckt in mir die Sehnsucht nach der Westküste«, erzählte Seregil, als er sich zu dem illustren Paar gesellte. »Beinahe scheint es, als könnte man die Zengatsee hinter den Dächern der Häuser schimmern sehen.«
Brythir umfasste Seregils Arm für einen kurzen Augenblick mit dem schwachen Griff seiner alten Finger. »Das Leben ist lang, Kind Auras. Vielleicht wirst du sie eines Tages wiedersehen.«
Überrascht verbeugte sich Seregil vor dem alten Mann, ehe er in den Garten ging.
»Das nenne ich eine Ermutigung!«, flüsterte Alec.
»Oder Politik«, murmelte Seregil zur Antwort.
Von den anderen Gästen wurde er nicht gar so herzlich empfangen. Datsia, Bry’kha, Ptalos, Ameni, Koramia – all diese Clans hatten seines Vaters Bemühungen in Bezug auf die Zengati unterstützt und durch Seregils Verbrechen am meisten verloren. Auch er näherte sich ihnen nur mit vorsichtiger Höflichkeit und wurde mit ebensolcher begrüßt, wenn auch nur um der Gastfreundschaft Brythirs willen oder wegen ihres Interesses an Alec.
Wenn Alec darunter litt, solchermaßen im Mittelpunkt zu stehen, so ließ er sich nichts anmerken. Obwohl sie sich so lange Zeit von den feinen Salons von Rhíminee ferngehalten hatten, wusste Alec die Lektionen, die ihm dort zuteil geworden waren, noch immer wohl zu nutzen. Sittsam, still, stets zu einem Lächeln bereit, bewegte er sich mit der Leichtigkeit von Wasser, das einen Stein umspült, unter den anderen Gästen. In seinem Schlepptau beobachtete Seregil mit einer Mischung aus Stolz und Amüsement, wie unzählige Gäste Alec die Hand schüttelten und vielleicht ein bisschen zu lange festhielten oder ihren Blick ein wenig zu freimütig über seine Gestalt wandern ließen.
Er blieb ein wenig zurück und stellte sich vor, er würde seinen Freund, seinen Talímenios, durch ihre Augen sehen: einen schlanken, goldhaarigen
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